Zola Jesus - Conatus

Souterrain Transmissions / Rough Trade
VÖ: 30.09.2011
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Der letzte Schrei

"Angst ist ein schlechter Berater", besagt ein schlaues Sprichwort, "Ausnahmen bestätigen die Regel" ein eher einfältiges. Bei Nika Roza Danilova alias Zola Jesus liegen die Dinge ein wenig anders. Die russischstämmige Amerikanerin gibt gern zu Protokoll, ihre Musik habe nicht zuletzt den Zweck, die eigenen Phobien zu exorzieren. Dass sie damit ausnahmsweise vorzüglich beraten ist, zeigte "Stridulum II", ein schaurig-schönes Horror-Hörspiel zwischen ghouligem Industrial-Gerüttel, Electro-Pop und fortgeschrittener Stimmakrobatik. Da konnte man aber freilich noch nicht ahnen, dass bald weltweit Features in bedeutenden Druckerzeugnissen auf Danilova einprasseln würden und sie inzwischen als "die neue Scream-Queen" gilt. Und vielleicht soll ihr verstohlener Seitenblick auf dem Cover ja sagen: "Was wollen die denn alle von mir?"

Immerhin: Für "Conatus" lässt sie sich nicht mehr mit Schokoladensoße übergießen, sondern lugt lediglich skeptisch unter weißem Tuch hervor. Zumindest musikalisch gibt es aber keinen Grund zur Beunruhigung - mit einem philosophischen Begriff für Aufstreben und Weiterentwicklung könnte dieses Album nämlich gar nicht passender betitelt sein. Andere hätten aus unruhigen Beats, vor Raureif glitzernden synthetischen Oberflächen, filigranen Strings und dem lautmalerisch raumgreifenden Gesang womöglich Bekömmlicheres destilliert - Danilova kann aber vermutlich gar nicht anders, als ihre Songs ständig auf links zu ziehen und dann so kräftig durchzurütteln, dass sie sich in durchschnittlich vier Minuten Spieldauer nicht ohne Weiteres wieder glattstreichen lassen.

"Avalanche" schlafwandelt zunächst zwischen gleißendem Totentanz und elektronischer Minimal-Hypnose, bleibt dann aber mit voller Absicht mitten im Raum stehen, während der multiplizierte Gesang gleichzeitig Sehnsucht greifbar macht und außerirdische Distanz aufbaut. Das faszinierend schwelende "Vessel" tarnt sich erst mit schweren Pianobrocken und stolpernden Beats als Megären-Version von Massive Attacks "Teardrop" - doch spätestens wenn der Refrain ins Bodenlose stürzt und Danilova jegliche stimmliche Zurückhaltung aufgibt, hat "Conatus" seinen Schlund längst aufgesperrt. Das Album treibt ein böses Versteckspiel mit flirrenden vokalen Ad-Libs, lässt synthetische und leibhaftige Streicher kollidieren und räumt die undurchsichtig pochenden Rhythmusmuster immer wieder mit donnernden Kriegspauken ab.

Und doch behalten Songs wie "Ixode" oder "In your nature" eine verquere Linie bei, ohne dass man sie je komplett zu fassen bekommt. Und wenn das straighte "Seekir" nach der Hälfte eine einfache Lösung anbietet, wird schnell klar, dass der Reiz hier woanders liegt. Erst gegen Ende wird Danilova milder, deutet bei "Skin" eine Art fragile Folk-Ballade mit ihrem Klavier als einziger Gesellschaft an und lässt abschließend die Drone-Nebelmaschine röhren. Möglich, dass die Lifestyle-Medien, die Zola Jesus so einhellig feierten, sich wieder von ihr abwenden werden, wenn ihre Stimme erst einmal in allem heiligen Ernst drohend durch die Redaktionsräume schallt. Wem es dagegen um Musik geht, für den ist "Conatus" nicht weniger als der Anfang von etwas ganz Großem. Der letzte Schrei ist noch lange nicht verhallt.

(Thomas Pilgrim)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Highlights & Tracklist

Highlights

  • Avalanche
  • Vessel
  • Ixode
  • In your nature

Tracklist

  1. Swords
  2. Avalanche
  3. Vessel
  4. Hikikomori
  5. Ixode
  6. Seekir
  7. In your nature
  8. Lick the palm of the burning handshake
  9. Shivers
  10. Skin
  11. Collapse
Gesamtspielzeit: 40:03 min

Im Forum kommentieren

Castorp

2012-02-18 15:34:21

"Seekir" lief gestern Nacht auf Flux.FM und hat mich beim Schreiben ganz verzaubert. Großartig, dachte ich, wo das Stimmengewirr einsetzte, diese Klangfarbe kenne ich doch irgendwoher...Bat for lashes? Nee, Zola Jesus. :)

Na, ein Kauf der Platten rückt vielleicht doch bald in die Nähe, mal hören.

Der Horst

2011-12-23 23:07:37

Für Spex gar Platte des Jahres.

klickklack

2011-11-20 12:39:46

so gut live!

Lotta

2011-10-30 10:37:09

Für mich ist das irgendwie Modern Talking in Gothic-Klamotten. Kennst du einen Titel, kennst du alle. Fällt in einem sehr schwachen Jahrgang wie 2011 natürlich auf. Zum Nebenherhören ganz okay, aber nichts Tiefergehendes oder Bleibendes. Von mir eine 6/10.

Lost

2011-10-30 10:21:43

großartiges album

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Spotify

Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv

Threads im Forum