Kuedo - Severant

Planet Mu / Cargo
VÖ: 24.10.2011
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Stille aus dem Jenseits

Es gibt Momente, die sind wie ein luftleerer Raum, ein Vakuum – man könnte sie auch kurzeitigen Stillstand nennen. Sie passieren, wenn die Hirnaktivität gen Null tendiert, wenn nach einer seltsamen Auseinandersetzung kein Wort mehr über die Lippen kommt, oder nach einem beschissenen Tag. Nach einem Fast-Unfall auf der Autobahn oder der Erkenntnis, dass kein Kaffee mehr da ist und man im Regen ins Büro gehen muss. Jamie Teasdale aka Kuedo macht Musik, die sich langsam in jenem Stillstand ausbreitet und ihn mit warmen Beats beseelt - "Severant" könnte treffend in "Guidance for escapism" umbenannt werden.

Teasdale selbst behauptet, bereits als Kind eine ausgeprägte Neigung zur Flucht in sich gespürt zu haben, ein Bedürfnis, der Wirklichkeit zu entfliehen und in die Welt des Irrealen und der Fantasie abzudriften. Im Gegensatz zu seiner früheren Arbeit als eine Hälfte des Post-Dubstep-Duos Vex’d, welche eher ein Konglomerat aus Breakbeats, roughem Garagesound und einer Portion industrieller Darkness war, schlägt Teasdale auf "Severant" eine neue Richtung ein. Die Flucht zur Flucht führte von Großbritannien nach Berlin, es folgten Solo-Releases auf Planet Mu und die Aufnahme eines Albums, welches futuristisch-psychedelische Elemente mit Verweisen auf Can, Vangelis und Tangerine Dream verbindet.

Anders als beispielsweise Com Truise, der einen ähnlichen Bogen zwischen Blade Runner und Futurismus schlägt, klingen die Tracks von Kuedo sehnsüchtiger, melancholischer und generieren ihren Rhythmus aus Chicagoer Footwork und einer Art "Coke rap" von The Clipse. Der erste Track, "Visioning shared tomorrows", umreißt bereits die Felder Zukunft und Moderne, welche Kuedo einzufangen und zu übersetzen versucht. Ein emotionaler Track mit deepen, meditativen Beats und einem Synthesizer, der klagend die Wolkendecke durchbricht. Das folgende "Ant city" hingegen ist dystopisch, episch, alarmierend und mit kleinen Funken versehen, die auf den Asphalt fliegen. "Whisper Fate" wirkt wie der Wind, der herrlich und erhaben über dem Szenario weht – ein unglaublich guter Track. "Onset (escapism)" klingt härter und kontrastiert mit den Vocals "You‘re never coming back", einem unterschwelligen Hubschrauber-Effekt und lamentierenden Synthie-Wänden zwischen "Whisper Fate" und "Scissors", dem bis dato melodiösesten Stück des Albums.

"Severant" lebt stark von Brüchen zwischen den einzelnen Tracks, pendelt von Aggression zu Romantik, mischt Organisches mit Sterilem. Zum Ende wird es dubbiger, schwingt behaglich teilnahmslos mit "As we lie promising" und "Memory rain" aus. "Severant" ist ein mehr als gelungenes Album, welches sich wieder und wieder neu formatiert, einzelne Melodien aufblitzen und verschwinden lässt. Wie ein medizinisches Kontrastmittel stellt Teasdale jene Struktur heraus, die Kern und Membran voneinander trennt, die eigentlich unsichtbar und nur in wenigen Momenten spürbar ist. Diese Struktur ist sinnlich schön und aufwühlend zu gleich – ebenso, wie Kuedo Gegenwart und Zukunft begreift.

(Carolin Weidner)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Whisper fate
  • Scissors

Tracklist

  1. Visioning shared tomorrows
  2. Ant city
  3. Whisper fate
  4. Onset (escapism)
  5. Scissors
  6. Truth flood
  7. Reality drift
  8. Ascension phase
  9. Salt lake cuts
  10. Seeing the edges
  11. Flight path
  12. Shutter light girl
  13. Vectoral
  14. As we lie promising
  15. Memory rain
Gesamtspielzeit: 46:00 min

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