Blue October - Any man in America

Brando / Edel
VÖ: 26.08.2011
Unsere Bewertung: 2/10
2/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Lachhaft ernst

Mal ehrlich: Wann haben wir uns zuletzt gefreut, dass der weiße Schimmel auf dem Brot endlich bläulich geworden ist, weil wir Farbveränderungen ja so mögen? Oder darüber, dass man sich nicht nur einen, sondern auch den zweiten Arm gebrochen hat? Dann ist wenigstens die Symmetrie gewahrt. Oder vielleicht darüber, dass die Lieblingsmannschaft diesmal nicht 0:3, sondern nur 0:2 verloren hat? Es war ja zumindest ein Fortschritt erkennbar. Wahrscheinlich haben wir uns gar nicht darüber gefreut. Warum also sollten wir "Any man in America" besser finden als den Vorgänger "Approaching normal", nachdem er sich als ähnlich schrottig erweist, wenn auch anders? Eben, sollten wir nicht. Dabei versuchen Blue October so hart, einen Stilwechsel zu erzwingen. Immerhin verfestigt sich die Erkenntnis, dass Blue October machen können, was sie wollen: Sie bleiben schlecht. Ist doch auch etwas.

"Any man in America" fängt allerdings recht vielversprechend an. Die Single "The feel again (Stay)" arbeitet sich zwar erfolglos, aber überraschend okay an Steven Wilson und Porcupine Tree ab. Soll heißen, Blue October versuchen sich in sehr anschmiegsamem Prog-Metal mit großem Melodiebogen. Das gelingt zwar nur leidlich. Verglichen mit dem Quark, den uns die ach so tief- und feinsinnigen Texaner anschließend auftischen, muss man "The feel again (Stay)" aber wohl als Höhepunkt der Platte bezeichnen. Da fällt in der Folge auch gar nicht ins Gewicht, ob sie wie bei "Drama everything" oder "The chills" schlageresk wie die Flippers, nur mit richtiger Gitarre klingen. Oder sich wie in "For the love" und einer Handvoll weiterer Songs mit herzergreifend pathosschwangerem und elegischem Rap-Pop-Rock in den Fokus spielen wollen. Statt Rampenlicht wartet jedoch nur das Abseits. Die größte Überraschung an "Any man in America" ist aber, dass nicht nur die Texte großer Mitleids-Müll sind - so etwas kennen wir ja nun schon zur Genüge von den Kollegen im Geiste -, sondern auch die Produktion im Grunde hinreißend billig klingt. Wäre dies beabsichtigt, "Any man in America" könnte große Trash-Kunst sein. Ist es aber nicht, denn hier ist alles lachhaft ernst gemeint.

Dass dem so ist, wird wiederum bei den bedauernswerten Texten klar. Apropos, wurde eigentlich schon geklärt, worum sich "Any man in America" eigentlich thematisch dreht? Nein? Sänger Justin Furstenfeld durchlebte vor den Aufnahmen des Albums eine schwere Zeit, weil er sich von seiner Frau scheiden ließ und ein bitterböser Kampf um das Sorgerecht für die Tochter entbrannte. Wovon also könnten diese persönlichen Texte - wahrscheinlich die persönlichsten, die Furstenfeld je geschrieben hat, denn "Any man in America" ist mit Sicherheit auch das beste Album in der Karriere der Band, ist ja klar - wovon also könnten diese Texte wohl handeln? Ganz genau, weitere Erklärungen sind nicht nötig. Ach, irgendwie ist "Any man in America" doch auch grundsympathisch, ganz einfach weil man selten so viel schimmelige Musik, die sich selbst so unfassbar ernst nimmt, auf einmal vorgesetzt bekommt. Nachdenklich sollte uns allerdings stimmen, dass wahrscheinlich auch dieses Album in den USA ein Erfolg wird, wie es bereits die Vorgänger waren. Das sagt wohl mehr über den Zustand der USA aus, als es jede Finanz- und Immobilienkrise könnte.

(Kai Wehmeier)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • The feel again (Stay)

Tracklist

  1. Everything (A.M. limbo)
  2. The feel again (Stay)
  3. The money tree
  4. For the love
  5. Drama everything
  6. The chills
  7. The flight (Lincoln to Minneapolis)
  8. Any man in America
  9. You waited too long
  10. The honesty
  11. The getting over it part
  12. The worry list
  13. The follow through
Gesamtspielzeit: 62:06 min

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