Alanis Morissette - Under rug swept
WEA / WarnerVÖ: 25.02.2002
Selbstläufer
Neulich auf VIVA. Es läuft Fast Forward, der letzte Mohikaner unter den ernstzunehmenden Formaten des Kölner Musiksenders. Charlotte Roche sitzt mit Alanis Morissette auf dem Sofa einer schicken Hotelsuite, die beiden plauschen ungezwungen über das neue Album der Kanadierin und man braucht nicht lange zu lauschen, um zu merken, daß sich hier zwei gefunden haben. Alanis erzählt, daß sie mit "Under rug swept" so "offen und transparent" wie eben möglich rüberkommen wolle, nicht zuletzt da "Frauen von der Gesellschaft oft als introspektiv abgestempelt" würden. Ein Vorurteil also, mit dem es aufzuräumen gilt. Des weiteren sei die Arbeit in der Musikindustrie eine sehr "patriarchalische Erfahrung" für sie und die Männer in dieser Branche "sehr dominant", weshalb das neue Album komplett in Eigenregie produziert wurde, auch wenn dies einigen Ärger mit der offenbar skeptischen Plattenfirma nach sich zog.
Dann wird ein Video eingespielt. "You oughta know" vom Debüt-Album "Jagged little pill". In einer trockenen Wüstengegend tobt Alanis, damals 20, vollkommen entfesselt durchs Bild, schüttelt ihre opulente Mähne und läßt die Stimme Purzelbäume schlagen. Wir sehen die personifizierte "wildness". Sieben Jahre sind seit diesem Video vergangen, und jetzt im Hotelzimmer scheint eine vollkommen ausgewechselte Persönlichkeit zu sitzen, die viel lacht, sich freundlich gibt und dabei sehr ruhig und ausgeglichen wirkt. Die Suche nach dem inneren Frieden, praktiziert auf dem '98er Selbstfindungstrip "Supposed former infatuation junkie", war scheinbar erfolgreich.
Wie sich all das auf "Under rug swept" ausgewirkt hat? Nun, zumindest die Produktion ohne das Glättungsmittel Glenn Ballard scheint eine gute Idee gewesen zu sein, läßt sie den eröffnenden Wunschzettel "21 things I want in a lover" doch angenehm krachend aus den Boxen fließen, während Textstellen wie "Are you uninhibited in bed? / More than three times a week? / Up for being experimental?" zeigen, daß Alanis bezüglich der Transparenz im Interview mit Miss Roche nicht zuviel versprochen hat. Dem zweiten Stück, namentlich "Narcissus", mangelt es dann jedoch überraschenderweise an etwas, das Alanis Morissette bisher stets auszeichnete: Leidenschaft. Die umkippende Stimme, die persönlichen Lyrics - all das konnte immer nur funktionieren, da man wußte, daß eine Frau am Werk ist, die alles genau so meint, wie sie es singt. Wenn es jedoch nur gelangweilt dahinplätschert, klingen auch Textauszüge wie "Dear momma's boy / I know you've had your butt licked by your mother" gleich nur noch halb so authentisch als man es bisher gewohnt war.
Da mit dem vorab ausgekoppelten "Hands clean" das schönste Stück der ganzen Platte folgt, läßt sich zunächst noch auf einen Ausrutscher hoffen, doch Songs wie "Flinch", das sich zur vergeblichen Warterei auf einen Höhepunkt über sechs Minuten hinstreckt oder "You owe me nothing", welches auch Mr. Ballard nicht glatter hätte bügeln können, machen dann doch überdeutlich klar, daß Alanis Morissettes Wandel vom ungestümen Powerpack zur ausgeglichenen Frau nahezu alle ihre Stärken unter den Teppich gekehrt hat und gepflegte Langeweile an ihren Platz stellt. Und so kann der Albumtitel doch nun wirklich nicht gemeint sein.
Highlights & Tracklist
Highlights
- 21 things I want in a lover
- Hands clean
- Utopia
Tracklist
- 21 things I want in a lover
- Narcissus
- Hands clean
- Flinch
- So unsexy
- Precious illusions
- That particular time
- A man
- You owe me nothing
- Surrendering
- Utopia
Referenzen
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