
Chilly Gonzales - The unspeakable Chilly Gonzales
Gentle Threat / Wagram / EdelVÖ: 10.06.2011
Ad libitum
Mittlerweile hat er alles durch. Den Rap, die Elektronik, den Funk, die Klassik und den schmierigen Jazzpop der Siebziger. Die Stilrichtung, die vor Gonzales sicher wäre, muss erst noch erfunden werden. Doch schon wieder war der Kanadier schneller: "The unspeakable Chilly Gonzales" ist das weltallererste Orchester-Rap-Album der Musikgeschichte. Hut ab, Smoking an.
Doch Gonzales ist nicht zum musikalischen Genie geworden, um sich mit dem schnöden Nebenher von Streicherwänden und Wortkaskaden zu begnügen. Warum mit totgedudelten Bach-Samples arbeiten, wenn man der GEMA mit eigenen Partituren die lange Nase machen kann? Form follows function? Flow follows fortepiano. Die Klischees fliegen unterdessen wie Schlüpfer aus dem Orchestergraben. Schon im Opener "Supervillain music" veralbert Gonzales seine völlig überambitionierte Idee und fordert zu dräuenden Hörnern und zitternden Geigen, doch bitte sofort gestoppt zu werden. "Now that I got what I want / I'll be honest I'm scared."
Zum Musicbox-Klimpern von "Self portrait" rechnet Gonzales bravourös vor, warum er mit seiner immensen Überheblichkeit schon immer recht hatte. Und stellt sich dann doch brav hinter anderen Genies an: "I see the truth in Eric Cartman / And Salvador Dali and Dolly Parton / And even Chris Martin." Es mag befremden, wie Gonzales' grobschlächtiger Rap die bombastischen Scores seines Bruders, Emmy-Gewinner Christophe Beck, unterwandert, weil diese eher zu James Bond, edlen Rittern oder geschminkten Piraten passen würden. Ihn selbst kümmert das kaum. Er antizipiert die Ablehnung, widerlegt sie aber durch - natürlich - geniale Gleichungen: "If you don't like rap, you'll probably hate this / You're probably racist."
Auch wer dachte, dass knallige Rhythmen Grundlage allen HipHops zu sein haben, darf sein soeben mit Pauken und Trompeten untergegangenes Weltbild zusammenfegen. "The unspeakable Chilly Gonzales" braucht keine plumpen Beats. Der Groove entsteht hier allein aus Wort und Klang. Es sind dabei nur ein paar Bongos, Rasseln oder eine einsame Snare, die sich in die aufgewühlten Arrangements schleichen. Weil Gonzales' Schnodderschnauze auch über tirilierenden Flöten und butterweichen Geigen-Pizzicatos Kante setzt, stört diese Zurückhaltung kaum. "For when the beans talk, I hear the echo / Speaking to me in the voice of Gordon Gekko." Das Größte und Beste ist dem Kanadier gerade gut genug: "It sure takes a lot of beans to make Chilly." Und jedes Böhnchen gibt ein Tönchen.
Nur ganz am Ende wird Gonzales weich. "Shut up and play the piano" beklagt den Zwiespalt des Künstlers, der an seinen inneren Eric Satie nicht heranreicht, wenn er rappt. Er hält zwar mit 27 Stunden am Stück den Guinness-Buch-Rekord für das längste Solo-Klavier-Konzert, das delikate Moll entzieht jeglichem Testosteron-Overkill die Grundlage. Ein Feingeist kommt ans Tageslicht, der so überhaupt nicht in das sonst so schwanzfixierte Genre passt. Gonzales reimt "opinions" auf "Palestinians" und beklagt die Second-Hand-Witzchen, zu denen er sich im Flow so gerne hinreißen lässt. Er hält zwar auch hier nicht die Klappe, aber wenigstens den Atem an.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Supervillain music
- Self portrait
- Beans
- Shut up and play the piano
Tracklist
- Supervillain music
- Self portrait
- Party in my mind
- Different kind of prostitute
- Rap race
- Beans
- Bongo monologue
- Who wants to hear this?
- Shut up and play the piano
Referenzen
Spotify
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