Raphael Gualazzi - Reality and fantasy

Sugar / Universal
VÖ: 13.05.2011
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Der große Unbekannte

Auf einmal war er da. Zwischen stampfende Eurodisco-Beats, Schalala-Folklore und vorhersehbaren Herzschmerz-Balladen hatte sich ein unscheinbar wirkender junger Mann auf die Bühne des Eurovision Song Contest in Düsseldorf geschmuggelt. Was er dort tat, passte so gar nicht in das Programm des Abends. Raphael Gualazzi saß einfach nur am Klavier und gab eine beschwingte Jazz-Pop-Nummer zum Besten. Und zwar eine richtig gute. "Madness of love" war der wohl ungewöhnlichste Beitrag des Wettbewerbs und für Musikliebhaber der Silberstreif am Horizont des Eurovision-Sumpfes. Am Ende stand für den 29-Jährigen aus Urbino Platz zwei zu Buche. Erstaunlich viele Europäer hatten sich für Musik statt für Bühnenshow entschieden. Selbst ARD-Haudegen Peter Urban war so durch den Wind, dass er ständig den Fakt wiederholte, dass Gualazzi im Vorfeld des Wettbewerbs gar nicht wusste, was dieser Eurovision Song Contest eigentlich ist.

Dabei ist Gualazzi in seiner Heimat schon längst kein Unbekannter mehr. Er gewann unter anderem im Frühjahr den Preis für den besten Nachwuchskünstler beim renommierten San Remo Festival. Wer sein zweites Album "Reality and fantasy" anhört, weiß auch schnell, warum. Gualazzi verbindet uramerikanische Musik wie Jazz, Swing und Ragtime mit italienischem Temperament und eingängigen Melodien. Er hat eine kraftvolle Stimme und an seinem Instrument sowieso viel drauf. Zudem kennt der smarte Italiener keine Scheuklappen und lässt auch Funk, Blues, Reggae und stellenweise etwas Electro in seinen Sound einfließen. So entsteht ein abwechslungsreiches Album, über dem natürlich klar der Quasi-Hit "Madness of love" thront. Dieser ist auch gleich doppelt vertreten, einmal als englischsprachige Eurovision-Version, einmal als italienisches Original. Doch auf "Reality and fantasy" gibt es auch darüber hinaus noch einiges an hochwertigem Material.

Gleich zu Beginn feuert Gualazzi mit "Icarus" und "Tuesday" zwei jazzige Hochkaräter ab, die nicht zuletzt seine Fähigkeiten am Klavier unter Beweis stellen. Später wissen die manische Funk-Nummer "Scandalize me", der absolute strandtaugliche Mitwipp-Hit "A three second breath" und "Behind the sunrise", ein romantisches Jazz-Duett im Stil der "fabelhaften Baker Boys" zu gefallen. Langweilig wird es auf "Reality and fantasy" nie. Dafür sorgen auch die sporadisch eingestreuten italienischen Stücke, die durch die Bank gelungen sind. Das gut gelaunte "Calda estate (Dove sei)" klingt, als würde sich Adriano Celentano nach einer Flasche Montepulciano am Klavier verausgaben, während "Sarò sarai" den melancholischsten Moment auf der Platte darstellt. Schade nur, dass auch ein Talent wie Gualazzi nicht vor Fehltritten gefeit ist. In "Love goes down slow" schweift der sonst so geschmackssichere Italiener in debilen Orgel-Pop ab. Wer zudem die Bonus-Track-Version des Titelstücks hört, wird verstehen, warum statt dieser ein Remix auf dem regulären Album ist. Dennoch: Einem wie Gualazzi gönnt man die kleine Erfolgswelle gerne, auf der er seit seinem Auftritt in Düsseldorf schwimmt. Dieser Mann ist viel zu gut für den Eurovision Song Contest. Und wer ist eigentlich diese Lena, von der immer alle reden?

(Mark Read)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Madness of love
  • Tuesday
  • Calda estate (Dove sei)
  • Sarò sarai

Tracklist

  1. Madness of love
  2. Icarus
  3. Tuesday
  4. Reality and fantasy (Gilles Peterson remix)
  5. Scandalize me
  6. Behind the sunrise (feat. Rox)
  7. A three second breath
  8. Calda estate (Dove sei)
  9. Out of my mind
  10. Sarò sarai
  11. Love goes down slow
  12. Lady 'O'
  13. Empty home
  14. Caravan
  15. Reality and fantasy (Album radio edit)
  16. Madness of love (ESC version)
Gesamtspielzeit: 59:55 min

Im Forum kommentieren

Jon

2011-06-19 13:48:41

Hui, dass die Platte hier rezensiert wird, hätte ich nicht gedacht! Hab Gualazzi Anfang des Jahres über einen italienischen Bekannten kennengelernt. Mich freut das, dass der jetzt durch den Eurovision Song Dingens (der natürlich trotzdem ziemlich übel ist) so bekannt wird. Verdient hat er's, super Musik ist das.

Rezension geht auch total in Ordnung, aber war ja klar dass Paolo Conte in den Referenzen genannt wird ;)

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