Herpes - Symptome und Beschwerden

Tapete / Indigo
VÖ: 13.05.2011
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
5/10

Geschrei nach Liebe

Wer "Symptome und Beschwerden" hat, sollte nicht unbedingt zum Arzt gehen. Sondern hat einfach nur einen guten Griff im Plattenladen gemacht. Herpes aus Berlin kommen nicht nur, um sich zu beschweren - sie kommen, um zu nerven. Zwar nicht einmal eine halbe Stunde lang, dafür aber richtig. Mit einem Album, das kantig den britischen Artschool-Punk der ausgehenden siebziger Jahre rekapituliert, als von Neuer Deutscher Welle noch gar nicht die Rede war. Die nervösen, funky Songbömbchen, die dabei herauskommen, haben nur noch wenig von den mitunter allzu quietschigen Schlüsselreizen des Vorgängers "Das kommt vom Küssen".

Analog zu den wilden Haken, die "Symptome und Beschwerden" schlägt, stellt Sänger Florian Pühs permanent ein panisch begreifendes Bewusstsein zur Schau - schießt mit seinem übergeschnappten Geschrei nach Liebe aber regelmäßig übers Ziel hinaus. Die Erektion wird zum Aufschwung und Diskurs in aufgebrachtem Hipster-Sprech zum Spiegel einer Seele, deren Träger eigentlich bloß in den Arm genommen werden möchte: "Ich will nur irgendeinen jungen Menschen / Und er soll mich in- und auswendig kennen." Ein Fest für alle, die sich gern an Von Spars irrsinniges Kratzbürsten-Debüt "Die uneingeschränkte Freiheit der privaten Initiative" erinnern und denen Schorsch Kamerun gar nicht penetrant genug skandieren kann.

Man könnte nun einwenden, dass man als Mittzwanziger besonders veranlagt sein muss, um Dinge wie "Ich fühl mich irgendwie zu alt für eine jugendliche Zeit" zu singen oder den drohenden Verlust seines coolen Wissens heraufzubeschwören. Herpes aber sind anscheinend so veranlagt - und kleiden innere Zerrissenheit in die Fetzen eines skelettierten Sounds, dessen wundgeschrubbte Saiten und auf dem letzten Loch pfeifende Früh-Elektronik sich auf engstem Raum verdichten. Da tut das Quintett gut daran, den lärmenden Punkrocker "75A" mit Selbstzweifeln und hämischen Zoten aufzubohren oder die hyperaktive Bassfigur von "Das Kaninchen im Hut" ungebremst gegen einen stoischen A-Capella-Chor rennen zu lassen. Frontalaufprall deluxe.

Die Geschwindigkeit steckt hier sogar in den Songtiteln: "Das Leben ist schnell" stibitzt ein Riff aus "52 girls" von den B-52's und wundert sich - ist das wirklich schon drei Jahrzehnte her? "Ruckzuck" hebt mit kosmischen Kraftwerk-Keyboards an, kippt dann aber ohne Vorwarnung in eine Quasi-Coverversion des LCD-Soundsystem-Nörglers "Losing my edge" um, deren in die Jahre gekommener Protagonist verzweifelt auf seine Plattensammlung als popkulturelle Daseinsberechtigung pocht. Fast so köstlich wie das Original - trotz der Erkenntnis "Ich verliere meinen Biss". Und spätestens bei diesem völlig unzutreffenden Satz beschleicht einen das Gefühl, dass das alles vielleicht doch gar nicht so ernst gemeint ist. Spaß macht es umso mehr. Hektische Flecken? Gutes Zeichen.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Das Allerletzte zu erst
  • Das Karnickel im Hut
  • Ruckzuck
  • Neues England

Tracklist

  1. Das Allerletzte zu erst
  2. Das Leben ist schnell
  3. 75A
  4. Das Karnickel im Hut
  5. Müde
  6. Ruckzuck
  7. Neues England
  8. Jugendliche Zeit
  9. Zaster
  10. Verflucht
Gesamtspielzeit: 26:34 min

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