
Mick Harvey - Sketches from the book of the dead
Mute / GoodToGoVÖ: 29.04.2011
Öl ins Feuer
Zwei Jahre ist es nun her, dass Mick Harvey sich von den Bad Seeds emanzipierte. Sich lossagte vom alles überstrahlenden Nick Cave, nach 36 Jahren gemeinsamer Arbeit. Was auch immer die Gründe gewesen sein mögen, an den oft beschworenen kreativen Differenzen lag es wohl nicht. Zumindest wenn man seine erste Soloplatte seit dem Ausstieg als letzten großen Schritt zur endgültigen Abnabelung betrachtet. Natürlich ist es nicht möglich, Harveys Output unabhängig von seiner musikalischen Sozialisation der letzten Jahrzehnte zu betrachten, weshalb leichtfertige Vergleiche mit Cave und den Alben der Bad Seeds selbstredend vollkommen legitim sind. Zumal sich "Sketches from the book of the dead" auch nicht gerade Mühe gibt, die Vergangenheit zu leugnen. Nein, vielmehr ist Harveys fünftes Studioalbum tatsächlich eine keinesfalls schlechte, aber eben etwas schwachbrüstige Version der Bad Seeds und ihrer düsteren Romantik.
Cave besitzt nun einmal die große Gabe, sich in seine Geschichten und in seine Figuren hineinzufühlen, mit ihnen zu verschmelzen und dadurch eine unvergleichliche emotionale Tiefe zu kreieren. Harvey dagagen fehlt dieses Talent. Gerade jene Songs, die spezielle Charaktere beleuchten, bleiben in etwas flacherem Fahrwasser. Auf der anderen Seite gibt es auf "Sketches from the book of the dead" aber auch Stücke, die ein düsteres und melancholisches Hohelied auf die Liebe im Allgemeinen anstimmen. Und fast so schön leuchten, wie man es von einem Bad Seed erwartet. Allen voran schreitet die herzerwärmende Klavierballade "How would I leave you?", die sehnsüchtig von der einen großen Liebe erzählt, die allen Widerständen und Zweifeln trotzt und jede Jahreszeit zu einem Fest macht. Das goldene Licht des Sommers? Einfach zu schön. Die fallenden Blätter des Herbstes? Ein umwerfendes Farbenspiel. Der raue, dunkle Winter? Da kann man doch wunderbar gemeinsam daheim bleiben. Tja, und im Frühling beginnt ja eh alles zu blühen und zu leuchten. "How would I leave you?" ist ein einfaches, aber sehr ergreifendes Lied geworden.
Auch "A place called passion" und der rumpelige Abschlusstrack "Famous last words" hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Der große Rest pendelt sich zwar auf einem guten Niveau ein, ohne sich dabei allerdings nachhaltig ins Gedächtnis zu brennen. Kann man gerne hören, muss man aber nicht unbedingt. Wahrscheinlich benötigt Harvey einfach noch ein wenig Zeit, um seinen Weg und seine eigene Stimme zu finden. Dieses unterm Strich durchaus gefällige Album gibt jedenfalls noch keinen Aufschluss darüber, warum er keine Lust mehr auf Cave hatte, denn in beiden lodert ein ähnliches Feuer. Während Cave aber oftmals lichterloh brennt, köchelt Harvey noch auf kleinerer Flamme. Wahrscheinlich fehlt nur etwas Öl.
Highlights & Tracklist
Highlights
- How would I leave you?
- Famous last words
Tracklist
- October boy
- The ballad of Jay Givens
- Two paintings
- Rhymeless
- Frankie T. & Frankie C.
- A place called passion
- To each his own
- The bells never rang
- That's all, Paul
- How would I leave you?
- Famous last words
Im Forum kommentieren
Beirut____*79
2011-04-05 20:33:41
'october boy' ist eine wunderbare hommage an rowland s.howard. und wenn man sich die abschiedsrede von mick harvey in der kirche am sarg rowland s. howard anhört, versteht man jede songzeile erst richtig_____
stillill
2011-04-05 20:28:21
super album. die perfekte ergänzung zu "let england shake".
Die Objektivität
2011-04-05 20:27:23
Und für jene die Harvey nicht kennen aber gleich entzückt werden wollen:
Out Of Time Man
Wenn ich das höre, kommt mir immer die gleiche Leichtigkeit und Schwingung in den Kopf, wie bei "The Passenger" von Iggy Pop.
sugar ray robinson
2011-04-05 20:23:19
Neues Album der Bad Seeds-Legende ist ziemlich großartig geworden. Kann mit den beiden anderen großen Singer/Songwriter-Alben 2011 durchaus mithalten (zumindest auf den ersten Blick).
Platte kommt am 2. Mai via Mute
http://www.mickharvey.com/biography.php
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Referenzen
Spotify
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