Explosions In The Sky - Take care, take care, take care
Bella Union / Cooperative / UniversalVÖ: 22.04.2011
Eine große Nachtmusik
Über kaum ein Genre im Spannungsfeld alternativer Musik wurde in den 00er-Jahren leidenschaftlicher berichtet als über den Post-Rock. Das mag daran liegen, dass in ebenjenem Zeitraum unheimlich spannende Postrock-Alben erschienen, die in ihrer wortlosen Ästhetik nicht nur sich selbst jedes Vokals beraubten - sie hinterließen auch die Hörerschar sprachlos. Tortoise, Godspeed You! Black Emperor und Mogwai gelten als die großen Vorreiter einer Musikrichtung, die grenzenlose Freiheit anstrebte, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Und so konnte sich jeder, der sich für emotionalen, spielfreudigen Rock interessierte, in diesen zumeist instrumentalen Welten verlieren. Der eine schätzte das konzeptuelle Genie von Godspeed You! Black Emperor, während der andere lieber der eruptiven Wucht Mogwais lauschte. Der Schreiber dieser Zeilen verehrt die beiden genannten Gruppen für ihr Œuvre, doch keine andere Band lässt den Puls so hochschlagen wie Explosions In The Sky. Zwar zählen die Texaner wahrlich nicht zu den Pionieren des Genres, ihre Variante des Postrock zeichnet sich jedoch durch eine Weichheit und atmosphärische Dichte aus, die in diesem Maße von nur wenigen Bands zuvor und von noch viel wenigeren danach erreicht wurde.
Dieses Alleinstellungsmerkmal brachte ihnen viele Freunde, aber ebenso viele Kritiker ein. Explosions In The Sky waren und sind nie die Lautsprecher gewesen, eher fungierten sie als Leisetreter, die vielen Menschen einzigartige Momente schenkten, irgendwo zwischen Sternenhimmel und Sonnenaufgang - was ihnen andererseits angelastet wird. Sie bedienen das Klischée einer Postrock-Band, die Nachtmusik macht. Die schwelgerische Songs schreibt, die nicht aufrütteln, sondern eher einlullen. Ohne zu langweilen, versteht sich. Auf ihren beiden letzten Werken perfektionierten sie ihren Klang, wobei insbesondere das fabelhafte "The Earth is not a cold dead place" für viele zu einem Klassiker mutierte. "Your hand in mine" ist nach wie vor eine Perle, ein in Stein gemeißeltes Manifest, ein vierblättriges Kleeblatt. Ein Soundtrack für zwei durch Schicksal verbundene Leben. Mit "Take care, take care, take care" erscheint nun ihr sechstes Studio-Album. Die Stimmung ist geteilt, Explosions In The Sky polarisieren und das mit den einfachsten Mitteln der Rockmusik: großartigen Songs.
Natürlich benötigt man für "Take care, take care, take care" wieder dreierlei Dinge: Geduld, Vorstellungskraft und gute Kopfhörer. Andernfalls fällt einem ob der dichten Kompositionen vermutlich schnell die Decke auf den Kopf. Viele Postrock-Platten der letzten Jahre und Monate fehlte diese Tiefe. "Take care, take care, take care" hingegen lässt schwarze Löcher entstehen, die den Hörer verschlucken. Falls er sich der schieren Schönheit und Impulsivität empfänglich zeigt. Wenn im eröffnenden "Last known surroundings" nach knapp vier Minuten die Gitarren vom Boden abheben und sämtliche Gravitationsgesetze für nichtig erklären, dann ist das wahre Grazie. Wie filigran und gleichermaßen fragil sich "Human qualities" aus seinem Kokon schält, ist beeindruckend: Im Takt klopft das Herz, ein kurzes Innehalten, bevor eine verhallte Gitarre einsam ihre Pirouetten dreht und hernach ein Donnergrollen einsetzt, das vereinnahmt.
"Trembling hands" ist mit seiner kurzen Spielzeit vielen Kritikern ein Dorn im Auge, die nicht begreifen können, das auch ein Stück aus diesen Winkeln der Rockmusik einmal mit drei Minuten auskommt. Die zweite Albumhälfte ist verspielt und ruhig, flächig-atmosphärisch. Das dem Genre immanente, stereotype Laut-Leise-Spiel wurde längst in die Mottenkiste verfrachtet. Das Spiel mit den Stimmungen indes ist der Wind in den Segeln des texanischen Quartetts: "Be comfortable, creature" ist ein Ruhepol und verströmt trotzdem eine unheilvolle Aura, die unter der Oberfläche schwelt. Der Übergang zum ähnlich gepolten "Postcard from 1952" gerät durch die verwandte Grundstimmung fast fließend. Das abschließende, zehnminütige "Let me back in" wird den Postrock nicht retten, fügt ihm aber eine weitere, feine Nuance hinzu. Zu einem solchen Stück müssten Filme von einer solch imposanten Verspultheit gedreht werden, wie es nur ganz wenige Regisseure können. Mit einem undurchdringlichen Murmeln endet "Take care, take care, take care". Eine Platte, die beweist, wie lebendig ein von vielen Seiten bereits totgeredetes Genre sein kann. Notiz an alle: Diese Erde ist kein toter, kalter Ort.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Last known surroundings
- Human qualities
- Let me back in
Tracklist
- Last known surroundings
- Human qualities
- Trembling hands
- Be comfortable, creature
- Postcard from 1952
- Let me back in
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hideout
2019-08-05 00:55:11
1.Last known surroundings 7/10
2.Human qualities 8/10
3.Trembling hands 6/10
4.Be comfortable, creature 8/10
5.Postcard from 1952 9/10
6.Let me back in 9/10
Gerade nochmal die Kurve bekommen, dank der zwei Highlights zum Schluss. Man merkt aber schon dass nach "Truth", "Earth" und "Sudden" die Entwicklung ins Stocken geraten ist. Trotzdem schöne 8/10
POSTCARD FROM 1952
2011-10-01 00:00:12
!!!!!!!!!
Pelo
2011-06-26 19:45:16
http://www.youtube.com/watch?v=2UNj5Oqs29g
Eliminator Jr.
2011-06-12 15:06:09
Achja, und könnte der Threadtitel bitte mal mit dem Albumtitel versehen werden?! Der ist doch nun echt der Hammer.
Eliminator Jr.
2011-06-12 15:05:07
Ein wirklich schönes Album. Gefällt mir überraschenderweise besser als die neue von Mogwai, welche seit zwei Alben leider etwas zu sehr auf der Stelle tänzeln. Das hier hat große Gesten, epische Momente und hinterlässt einfach einen tollen Gesamteindruck.
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