Elbow - Build a rocket boys!

Fiction / Polydor / Universal
VÖ: 15.04.2011
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

In der Ruhe

Talent allein reicht nicht. Man muss es auch so zeigen, dass es auffällt. Elbow mussten das erst lernen. Schon ihr überragendes Debüt "Asleep in the back" wurde hierzuseits unterschätzt, und Elbow legten immer wieder Alben nach, die sich charmant unter der Aufmerksamkeitsschwelle räkelten. Zwar buchstabierte die cremige Melange aus sehnsüchtigem Schmelz und dezenter Abstraktion das Wort "Talent" mit dickem Ausrufezeichen. Es waren dennoch nicht allzu viele Eingeweihte, die sich über die Ignoranz der anderen nur wundern konnten. Und dann kam "The seldom-seen kid".

Dank Hymnen wie "Grounds for divorce" oder "Mirrorball" passen Elbow und Hype jetzt annähernd unfallfrei in einen Satz. Es gibt nur ein Problem: Die Welt, die sich in den Samt von Guy Garveys Stimme verliebt hatte, wünscht sich jetzt die ganz großen Coldplay-Gefühle von Elbow. Und was macht der Fünfer? Er legt als ersten Track den monumentalen Minimalismus von "The birds" vor. Perkussives Schaben, taumelnde Gitarren und träger Beat erden acht Minuten lang das weltfremde Schwelgen über Geheimnis bewahrende Vögel und ihre rasant schlagenden Herzen. Garvey grübelt minutenlang auf der Stelle, doch plötzlich sorgen mulmige Synthesizer und verzerrte Saiten für Ausdruck und Vorwärtsdrang. Und schließlich wehen Streicher "The birds" in den Himmel.

Nachdem Elbow mit dem ersten Song kunstvolle Ungewissheit zelebrierten, ziehen sie sich mit dem ebenfalls fabulösen "Lippy kids" ums Klavier zurück. Im stoischen Walzertakt kommen die fünf Musiker ganz dicht aneinander und lassen ihre Töne vereinzelt im Raum verhallen. Sie verklingen wie nostalgische Erinnerungen: "Lippy kids on the corner begin settling like crows / And I never perfected that simian stroll / But the cigarette scent, it was everything then." Garvey hält die herumlurkenden Jugendlichen nicht für eine Bedrohung; er war schließlich selbst mal so jemand. Er ruft ihnen Mut zu und den Plattentitel: "Build a rocket boys!" Denn diese Jungs sind unsere Zukunft.

Gleich dieser formidable Beginn steckt den Rahmen für Elbows fünftes Album ab, und es ist möglicherweise ihr bestes. Statt sich nämlich vom späten Erfolg unter Druck setzen zu lassen, spielen die Mancunians einfach ein paar Melodien ein. Echtes Arbeiterklassen-Herzblut steckt in Zeilen wie "We got open arms for broken hearts." Elbow erlauben sich keine gekünstelten Manierismen, sondern marinieren ihre Songs in Kammermusik und miniaturisierten Grooves. Sanfte Wiederholung statt exzessivem Songwriting - eine Technik, die schon ihr Debüt verzauberte. Denn wozu Komplexität anstreben, wenn die erste Harmonie schon so wunderbar vernebelt?

Obwohl "Build a rocket boys!" mit Ausrufungszeichen daherkommt, wirkt die Musik meist still und entspannt auf den Punkt gebracht. Weil Elbow auch in schlichten Songs immer ein inneres Aufbegehren mitdenken, hilft bei "With love" oder "Open arms" ein fünfundfünfzig-kehliger Chor beim angemessenen Nachdruck. Die besinnliche Inszenierung hält in der Albummitte mit dem zärtlichen "Jesus is a Rochdale girl" und dem spirituellen "The night will always win" den Atem an. Meisterlich, wie sie danach in "High ideals" einen matten Groove mit Orchester zum Leuchten bringen. Das abschließende "Dear friends" wickelt einen 6/8-Takt versöhnlich um den Finger. Elbow investieren auf "Build a rocket boys!" nicht in Struktur und Abstraktion, sondern in Detail und Textur. Dort verstecken sie immer wieder ergreifende Melodien und subtilen Sarkasmus. Elbow laden zur Entdeckung ein, aber sie drängen sich nicht auf. Denn die Band dosiert ihr Wissen um die großen Gesten und die noch größeren Refrains. Musik mit Bedacht.

(Oliver Ding)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • The birds
  • Lippy kids
  • The night will always win
  • High ideals

Tracklist

  1. The birds
  2. Lippy kids
  3. With love
  4. Neat little rows
  5. Jesus is a Rochdale girl
  6. The night will always win
  7. High ideals
  8. The river
  9. Open arms
  10. The birds (Reprise)
  11. Dear friends
Gesamtspielzeit: 51:37 min

Im Forum kommentieren

MopedTobias (Marvin)

2020-06-10 23:25:48

MACHINA sagt es ja selbst: "relativ" schlecht. So schlimm werden es die meisten wohl nicht finden, aber die Band hat halt noch viel besseres und konsistenteres gemacht. Würde so 7-7,5 geben, was als "schlechtestes" Album absolut für Elbow spricht.

Ich finde es insgesamt ein bisschen zu ruhig bzw funktionieren die ruhigeren Songs bis auf "Lippy kids" nicht ganz so gut wie sonst. Das Pathos von "Open arms" ist etwas grenzwertig, dazu die angesprochenen Kinderlied-Melodien... aber alles Meckern auf hohem Niveau natürlich. Die ersten beiden Songs sind glatte 10er, "The birds" eher 100 :)

Felix H

2020-06-10 23:02:10

"The birds", "Lippy kids" und "High ideals" alleine...

Ja, das alleine halt. :-)
"High Ideals" finde ich allerdings nicht (mehr) so groß, mich stört da diese Kindermelodie wie bei einigen Songs hier.
Unterm Strich bin ich bei 6,5/10.

The MACHINA of God

2020-06-10 22:54:00

Warum kommt dieses Album immmer so relativ schlecht weg? "The birds", "Lippy kids" und "High ideals" alleine...

Felix H

2016-12-05 18:42:32

Ich bin zumindest nicht allein mit meiner Meinung. ;-)

seno

2016-12-05 15:56:16

*Push* aufgrund der "Open Arms"-Kontroverse im Thread zum neuen Album.
Auch hier gabs dazu damals eine unterhaltsame Diskussion.

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