The Charcoal Sunset - The Charcoal Sunset
Radio Transmission / Rough TradeVÖ: 01.04.2011
Tief im Western
Es war eine schwer zu greifende Faszination, die damals von Papas Plattensammlung ausging: all die bunten Kartons mit merkwürdigen Bildern und die Fotos von zotteligen Männern, die alle ein bisschen aussahen wie der Landstreicher bei Pippi Langstrumpf. Drin steckten Texte in diesem mysteriösen Kauderwelsch namens Englisch und runde, schwarze Scheiben, mit denen man unter Androhung drakonischer Strafen nicht spielen durfte. Und wenn dann mal eine davon auf dem Plattenteller landete, war da diese Musik - irgendwie cooler als Rolf Zuckowski, aber meist auch ungleich verwirrender.
Nicht unwahrscheinlich, dass auch The Charcoal Sunset den elterlichen Musikschrank des Öfteren durchforstet haben. Schon der nostalgisch umschnörkelte Coverschriftzug lässt eher eine verschollene Neil-Young-LP erwarten als das Debüt einer jungen Band aus Berlin-Wedding. Auch musikalisch weht der Wind vertraut aus Richtung der Siebziger Jahre: Es lässt sich erahnen, wo die Country-Einflüsse, die Hammond-Orgel, die schlichten Rockmuster ihren Ursprung haben - umso erfreulicher, dass ein Fuß stets in der Gegenwart verhaftet bleibt.
Von den Hipster-Allüren ihrer Heimat könnte die Band jedenfalls kaum weiter entfernt sein. Stattdessen entführen The Charcoal Sunset weit nach Westen: in das Amerika der Prärieweiten und Highways, der Zukunftsträume und Springsteen-Mundharmonikas, in das "Great wide open", das Tom Petty einst besang. "There's no direction home" oder "I'm on my way, leaving this awful town", behauptet Sänger Juri Member, doch trotzdem fällt es denkbar leicht, sich in dieser warmherzigen Musik heimisch zu fühlen. Sei es nun im sich eher grimmig aufbäumenden "In your garden" oder in der melancholischen Schönheit von "The white lie", bei dem drei helle Klaviertöne für einen dicken Kloß im Hals des Hörers reichen.
Ohnehin sind es oft die gar nicht so gewaltigen Details, die zum spontanen Verlieben einladen: die Streicher an genau den richtigen Stellen, der Dreivierteltakt, in den "Glenn Gould" mündet, die Sehnsucht, mit der von "horses riding along the way" geträumt wird. Klar, nichts Unbekanntes, aber mal ehrlich: Kommt der Wunsch nach etwas anderem überhaupt auf? Was für ein Zeitloch es auch sein mag, in dem diese Band sich mit ihren Americana-Arrangements eingenistet hat - dort ist sie goldrichtig aufgehoben. Im Wilden Westen wärmte man sich am Lagerfeuer, heute gibt es Heizungen und Alben wie dieses. Bleibt nur eine Frage: Ist die Zeile "I've never been to New York City" gegen Ende Zufall - oder etwa eine Hommage an Udo Jürgens? Doch selbst diese könnte man "The Charcoal Sunset" ohne weiteres verzeihen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- The white lie
- In your time of dyin'
- Black letters
Tracklist
- In your garden
- Glenn Gould
- The white lie
- In your time of dyin'
- Better view
- Let it happen, let it pass
- Phantoms
- Longitude pt. 2
- Missed connections
- Maelstrom
- Black letters
Referenzen