The Low Anthem - Smart flesh
Bella Union / Cooperative / UniversalVÖ: 25.02.2011
Die Vier von der Tunke
Bolognese. Carbonara. Gorgonzola. Pomodore e Ricotta. Napoli. Putanesca. Matriciana. Salmone. All'arrabbiata. Crema di funghi. Na, wie sieht's denn so mit der Speichelproduktion aus? Läuft das Wasser schon in aller Munde zusammen? Dort waren The Low Anthem zwar noch nicht - auch wenn ihr letztes Werk "Oh my God, Charlie Darwin" es durchaus verdient gehabt hätte. Aber Ben Knox Miller, Jeff Prystowsky, Jocie Adams und Neuzugang Mat Davidson haben trotzdem einen ganz besonderen Bezug zu Pastasaucen. Nicht, weil es so schön bequem ist, zwischen Take 25 und Take 26 mal eben ein Glas Tomatenpampe aufzudrehen und mit einem Topf Fusilli, Penne oder Spaghetti bekannt zu machen, sondern weil ihr neues Album "Smart flesh" in einer stillgelegten Pastasaucen-Fabrik aufgenommen wurde.
Dass The Low Anthem stinknormale Studios viel zu langweilig finden, ist nichts Neues. Wir erinnern uns: Zehn Wintertage lang verschanzten sie sich für den Vorgänger in einer Hütte auf Block Island, einer beschaulichen Insel im Süden ihres Heimat-Bundesstaates Rhode Island. Und nun also in einer fast 4000 m² großen Pastasaucen-Fabrik - es dauerte alleine zehn Tage, bis sie ihr portables Studio eingerichtet, ihre unzähligen Second-Hand-Instrumente angeschleppt und sich noch einen netten Wohnbereich geschaffen hatten. Das einzige Problem dabei: die Kälte in der alten Produktionshalle. Die Band gab jedoch zu Protokoll, man werde durch niedrige Temperaturen zwar langsamer, aber auch fokussierter. "Smart flesh" weiß dies eindrucksvoll zu bestätigen: Neun von elf Songs klingen schon sehr nach Zeitlupe. Oder um im Lebensmittel-Jargon zu bleiben: nach Slow Food.
"Qualität braucht Zeit" lautet ein Grundsatz der Slow-Food-Verfechter, und auch dieses Album braucht länger als seine Spieldauer von einer guten Dreiviertelstunde, um sein Aroma vollständig zu entfalten. Der Opener "Ghost woman blues" beginnt so, als würde man gerade dazustoßen, während das Klavier schon seit Generationen diese eine sehnsüchtige Akkordfolge spielt. "On my way home" lauten die ersten Worte, und man ahnt: Es ist noch ein weiter Weg. Wovon man nun auch einen ersten Eindruck bekommt, sind die klanglichen Möglichkeiten einer riesigen Fabrikhalle - der gigantische natürliche Hall, die unterschiedlichen Effekte durch unterschiedlich platzierte Mikrofone - was man vor allem "Golden cattle" anhört. Jetzt ist auch klar, warum Miller in einem Interview erzählte, dieser unglaubliche Raum sei das Hauptinstrument auf "Smart flesh". Das nennt man dann wohl Hall Of Fame.
Es gibt dieses Mal etwas mehr Country, vor allem bei "Apothecary love" - natürlich mit Pedal Steel, Mundharmonika, tadelloser Schunkelkompatibilität und ein paar schönen Promille im Text: "First she shot me with whiskey / Then she chased me with gin / Swore I was the cure / For the shape she was in." Ansonsten fällt auf, wie viel Platz The Low Anthem ihren neuen Stücken lassen - "Love and altar" braucht kaum mehr als eine Gitarre und zweistimmigen Gesang, der in seiner rührenden Erhabenheit an Simon & Garfunkel erinnert. "Matter of time" imaginiert sich zum Harmonium in die Lebenswelt diverser Tiere, und das alles nur, um alle denkbaren Blickwinkel auf die Liebe erleben zu können. "Fool's repent" hingegen klingt trotz Banjo und singender Säge so, als würde Miller mit einem Arm in Leonard Cohens "Famous blue raincoat" stecken. Besonders erwähnenswert: Die erstaunlich flotte Nummer "Boeing 737", die wunderbar majestätischen Folkrock an Bord hat - aber auch die Tatsache, dass Adams' Klarinette nach wie vor äußerst präsent ist und sich mit "Wire" sogar ein fast vierminütiges Solostück genehmigt. Und wir genehmigen uns jetzt auch was. Das Nudelwasser kocht.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Ghost woman blues
- Apothecary love
- Boeing 737
- Love and altar
Tracklist
- Ghost woman blues
- Apothecary love
- Boeing 737
- Love and altar
- Matter of time
- Wire
- Fool's repent
- Hey, all you hippies!
- I'll take out your ashes
- Golden cattle
- Smart flesh
Referenzen
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