Devotchka - 100 lovers
Anti / IndigoVÖ: 25.02.2011
Zauberhaft
Devotchka? Natürlich pfeifen die! Mit vollen Hamsterbacken, unterstützt von singenden Sägen, an allen Straßenecken, mit dem Wind um die Wette, so ziemlich genau im Zentrum ihres neuen Albums und überhaupt: auf musikalische wie folkloristische Grenzen bekanntermaßen gleichermaßen. "Exhaustible", der Song zum Pfeifkonzert, ist so etwas wie der Young Folk zu Peter Bjorn And Johns einstiger Punktlandung. Einer, der die Verstrebungen eines einzigen fehlenden Buchstabens als Ankerseil für seine Weltumrundungen nutzt. Der sagt: Pfeifen ist wohl neben Irgendwodraufklopfen die universalste und altehrwürdigste Form des Musizierens. Und dabei und deshalb eben nicht derart aseptisch hitverdächtig, sondern ebenso mit- wie herzzerreißend erklingt.
Zudem ist "Exhaustible" ein willkommener, schlichter Ruhepol auf Devotchkas erneut grundaufgeregtem fünftem Album "100 lovers". Das allerdings, so muss gesagt werden, ebenso erstaunlich schlicht eröffnet wird. Insbesondere die hervorragenden "One hundred other lovers" und "The alley" bescheren einen indie-infizierten, melancholisch poppigen Beginn. Erst mit "The man from San Sebastian" und "The common good" tönen Devotchka in vollendeter weltfolkloristischer Breite. Was für sich genommen selbstverständlich ihr natürlicher Lebensraum ist. Umgeben von Walzertakten, Thereminen, Akkordeons, Allerweltspercussion, Tango, Mariachi und Country fühlen sich die vier Multiinstrumentalisten erst so richtig wie die Maden im Speck. Zwar hätte man dem schmachtfetzenden Anfang durchaus auch noch länger zuhören können. Was Devotchka zu langweilig ist, muss auf ihre Hörer längst noch nicht zutreffen. Dass sie dennoch beinahe stoizistisch an ihrem Wertekosmos festhalten, beziehungsweise sich auf "100 lovers" gefühlvoll und abwartend in ihn hineinarbeiten, zeigt erneut die Sorgfalt und Strenge, mit der diese Band an ihr musikalisches Tagwerk geht.
Die Melancholie, die in "Ruthless" und "The common good" wohnt, hat natürlich mit Nick Uratas Windmühlen-Stimme zentral zu tun. Darüber hinaus aber werkeln Devotchka auch ihre musikalischen Weltumrundungen stets zu manisch-depressiven Exkursionen zurecht. Deshalb lassen die Bläser von "Bad luck heels" und "Contrabanda" eine trachtenbewährte Marching-Band durchs Album tigern, die darauf zu "Sunshine" einfach in die Ecke plumpst - und sich ebenso selbstvergessen wie schwermütig die schlechten Gedanken von großen wie kleinen Streicherbögen aus den Schläfen kratzen lässt. Devotchkas größter Zaubertrick ist das Erstaunen darüber, wie viele Hummeln im Hintern in einen einzigen melancholischen Blick passen. Eine Rechnung, die so eigentlich gar nicht gestellt werden dürfte, aber immer wieder aufgeht. Überraschung ist auf "100 lovers" längst kein Effekt mehr, sondern ein sorgsam ausgearbeiteter Energieknoten. Einhundert letzte Löcher. Mindestens.
Highlights & Tracklist
Highlights
- The alley
- One hundred other lovers
- Exhaustible
- Bad luck heels
Tracklist
- The alley
- All the sand in all the sea
- One hundred other lovers
- The common good
- Interlude 1
- The man from San Sebastian
- Exhaustible
- Interlude 2
- Bad luck heels
- Ruthless
- Contrabanda
- Sunshine
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Tollfrosch
2011-03-01 18:45:26
@Faserland: Besser kann man es nicht ausdrücken.
Faserland
2011-03-01 17:15:29
Besser ausgedrückt: "100 Lovers" macht die neue "The King Is Dead" von Decemberists für mich unbrauchbar und langweilig.
Faserland
2011-03-01 17:13:00
Also "100 Lovers" ist mein erster Devotchka-Album und ich finds gerade ziemlich spannend, nicht nur, weil ich ein großer Beirut-Fan bin. (wobei zwischen Beirut und Devotchka alles andere als 1zu1 Parellelen zu ziehen sind; die Referenz ist aber dennoch da.)
Mir gefällt die Verspieltheit, die man auf "100 Lovers" heraus hört. Irgendwie ist das zum aufkommenden Frühlingswetter sehr passend, nachdenklich stimmend, ein bisschen melancholisch und dennoch zum Teil kräftig und aufbrausend.
Matthias
2011-02-21 22:03:29
Phantastische Band. Ich bin gespannt. Danke für die Links.
bee
2011-02-11 21:08:57
highlights sind aber eher: The man from San Sebastian + Contrabanda
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