Kenzari's Middle Kata - Body vs. function

BluNoise / Al!ve
VÖ: 04.02.2011
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Das Wegsperren von Wegsperren

"Christus kam nur bis Eboli" nannte der Schriftsteller Carlo Levi einst sein autobiographisches Werk über die Verbannung in den rückständigen, gottesfürchtigen Süden des italienischen Stiefels. Stellt sich die Frage: Wie weit kamen eigentlich At the Drive-In? Zumindest ins idyllische Chiemgau haben es die längst verblichenen Postcore-Veteranen aus Amerika offenbar geschafft. Und dort einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Seit einigen Jahren schon zählen Kenzari's Middle Kata zum besten, was Deutschland in diesem Genre zu bieten hat. Das Debüt "Black box consciousness" wurde anno 2006 begeistert aufgenommen und ermöglichte dem Quartett Konzerte im In- und Ausland. Für den Nachfolger ließen sich Kenzari's Middle Kata Zeit – und holten sich prominente Unterstützung ins Boot.

"Body vs. function" wurde von niemand geringerem produziert als Noiserock-Urgestein Guido Lucas. Der ließ auch gleich seine Kontakte nach Koblenz spielen und brachte Aydo Abay als Gastsänger im Song "Titanic" unter. Wie um zu beweisen, dass sie es verdient haben, mit solch klangvollen Namen in Verbindung gebracht zu werden, haben die Oberbayern ein Album aufgenommen, das zwar anders klingt als ihr erstes, ihm aber in nichts nachsteht. Waren die Songs auf dem Debüt noch von musikalischer und emotionaler Unberechenbarkeit geprägt, durchzogen von Rhythmusbrüchen, schrägen Harmonien und wütendem Geschrei, so präsentiert sich "Body vs. function" eingängiger und kompakter.

Doch von seichtem Geschrammel sind die zehn Songs immer noch so weit entfernt wie Eboli von Mailand. Unter der Oberfläche von treibenden Hochkarätern wie "Bailed off" oder "Copper and its current youth" etwa schlummern tighte Arrangements und versteckt sich jede Menge interessantes Gefrickel. Auch das angesprochene "Titanic" drängt auf technisch höchstem Niveau nach vorne. Mögen die Beats diesmal geradliniger sein, mögen Kenzari's Middle Kata weitgehend darauf verzichten, dem Hörer den Boden unter den Füßen wegzuziehen: Ihre Lieder verlangen immer noch höchste Aufmerksamkeit. Wer sich nicht auf "Body vs. function" einlässt, wird die unaufdringliche Großartigkeit der meisten Gesangslinien kaum bemerken. Wer Liedern wie dem Titelstück keine Zeit zur Entfaltung gibt, wird wirres Gitarrengeplänkel hören anstatt das meisterhafte Zusammenspiel dahinter.

Bei diesem Album wäre ein solcher Mangel an Aufmerksamkeit wahrlich schade, denn "Body vs. function" ist ein wuchtiges Statement, das den Vergleich mit amerikanischen Genregrößen nicht zu scheuen braucht. Eine bissige Gitarrenhymne wie "This machinery is for the people" hätten auch At the Drive-In nicht besser hingebracht. Wer übrigens noch den schlagenden Beweis sucht, dass diese es tatsächlich ins Chiemgau geschafft haben, höre sich den abschließenden verschrobenen Sechsminüter "The red queen analogy" einmal genauer an und suche das direkte Textzitat aus "Invalid litter dept.": Es hat, ebenso wie "Body vs. function", seinen genau richtigen Weg gefunden.

(Mark Read)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • This machinery is for the people
  • Copper and its current youth
  • Ghost camera

Tracklist

  1. Bailed off
  2. Cross you, Nosferatu
  3. This machinery is for the people
  4. Copper and its current youth
  5. It is chronic
  6. Titanic
  7. Ghost camera
  8. Today's theatres, tomorrow's silence
  9. Body vs. function
  10. The red queen analogy
Gesamtspielzeit: 35:22 min

Im Forum kommentieren

Mayakhedive

2020-01-02 07:01:34

Läuft gerade mal wieder zu meiner großen Freude.
Allerdings stelle ich mit Schrecken fest, dass die ja von 2011 ist und folglich absolut in meine Liste gehört hätte.
Tolle Gitarrenmusik mit einer extra Portion Energie, bei der die Vergleiche mit At the Drive-In wirklich nicht sooo weit her geholt sind.
Zudem hat mich der Sänger bei seiner Schreieinlage in "Today's Theaters, Tomorrows Silence" ein wenig an den Typen von Refused erinnert.

Naja, zumindest kann ich dem erbarmungswürdig leeren Thread zu diesem Album vielleicht etwas Aufmerksamkeit verschaffen, auch wenn ich da irgendwie leise Zweifel habe.

Bonanza

2011-02-12 14:48:16

@Mark:

Den Verbund durfte ich auch zwei mal im Kafe Kult bewundern. Wir waren vermutlich auf den gleichen Konzerten^^

Die Tour mit The Hirsch Effekt überleg ich mir mal.

Mark

2011-02-10 21:29:29

@Bonanza:
Im Verbund mit Trip Fontaine habe ich sie schon zweimal gesehen, im Münchener Kafe Kult. Wirklich sehr empfehlenswert, da beide Bands auch aus extrem angenehmen, umgänglichen Typen bestehen. Musikalisch in der Tat eine Wucht.

Demnächst sind sie mit The Hirsch Effekt auf Tour, was mit Sicherheit auch ein Hammer wird. Werde ich mir wohl wieder in München geben, die sind gemeinsam aber auch in einigen anderen Städten.

Black Box Consciousness ist ebenfalls saustark, mir gefällt aber der Zweitling den Tacken besser ;)

last

2011-02-10 19:08:40

die hatten doch mal free-tracks bei last.fm. jetzt nicht mehr. sind die schon so erfolgreich, dass sie nichts mehr verschenken wollen?!

Bonanza

2011-02-10 18:40:30

Schön, dass Plattentests die großartige Band hier beachtet.
Kennt die hier sonst wer? Meinungen?
Live sind die definitiv eine Wucht, haben nen ganz guten Draht zu Trip Fontaine wie ich meine. Die Kombo aus beiden Bands ist top.
Sehr zu empfehlen die Band.
Noch einen Tacken stärker als die aktuelle Platte ist übrigens der Vorgänger "Black Box Consciousness"

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