
Wire - Red barked tree
Pink Flag / CargoVÖ: 14.01.2011
Die Dreierbande
Was Gang Of Four können, können Wire schon lange. Das war zur ersten Hoch-Zeit von Post Punk vor gut 30 Jahren so und ist es heute immer noch. Ein netter Zufall also, dass beide Bands ihre neuen Alben praktisch zeitgleich veröffentlichen. Wire sind zunächst im Vorteil: Während Gang Of Four inzwischen das halbe Personal ausgetauscht und abgesehen von der neu eingespielten Best Of "Return the gift" seit 1995 kaum etwas zustandegebracht haben, sind Colin Newman und Kollegen seit geraumer Zeit annähernd in Originalbesetzung wieder genauso aktiv wie relevant. "Send" machte gewaltig Rabatz, "Object 47" erinnerte sich mehr ihres Art-School-Backgrounds und der damit verbundenen Dekonstruktion eines überholten Rock'n'Roll-Verständnisses. Was allerdings mitunter wie schlaftrunkene New Order oder Interpol ohne Pathos und daher etwas hölzern klang. Doch das täuscht: Bei den nicht mehr ganz knitterfreien Herren handelt es sich immer noch um Punks. Die aber trotzdem wissen, was sich gehört.
Und wenn schon beleidigt wird, dann bitte mit Stil und in aller Höflichkeit: "Please take your knife out of my back / And if you do don't twist it / Fuck off out of my face / You've taken too much space", näselt Bassist und Teilzeitsänger Graham Lewis im zähen, aber perfiden Opener "Please take", dazu brummelt diskret die Rhythmusgruppe und setzen sparsame Licks erste Nadelstiche. Das folgende "Now was" zieht die Schraube mit knapp kalkuliertem, aber ungemein dynamischem Bass-Schlagzeug-Doppel dann merklich an, und bald steht fest: "Red barked tree" ist eins dieser Alben, die ständig zwischen heiß und kalt hin- und herschalten, abwechselnd anziehen und abstoßen, schmeicheln und pöbeln. Wenn es sein muss, auch einmal so ruppig und minimalkompakt wie zu Wires Anfängen: "Two minutes" macht genau diese 120 Sekunden lang stoisch disziplinierten Lärm, "A flat tent" schafft es in kaum längerer Spielzeit mit scharfen Handclaps immerhin zu einem schroff abgesägten Fast-Popsong.
Aus dem viereinhalb Minuten lang grandios stampfenden "Moreover" hätten Wire früher vermutlich drei bis vier Stücke gemacht - doch auch die Abgeklärtheit, mit der die Band heute beißende Monotonie in Groove umwandelt, ist bemerkenswert. Instrumentierung und Struktur bemühen sich dabei um extreme Klarheit: Man sieht Newman die Verachtung für musikalisches Zuviel und übertriebenes Gegniedel förmlich ins Gesicht geschrieben, wenn er im bewusst reduzierten "Bad worn thing" die "overcrowded nature of things" beklagt. Denn selbst in den Momenten, in denen dieses Album richtig Krach schlägt und seine stachligen Tentakeln ausfährt, bleiben Wire Meister im Verdichten und Eindampfen von Arrangements, bis nur noch ein überaus tightes Songskelett übrigbleibt. Erst beim wundersam halbakustisch mäandernden "Down to this" und dem abschließenden Titelstück lockern sich die zusammengebissenen Zähne wieder. Damit man anerkennend mit der Zunge schnalzen kann. Und die Kinnlade offen stehen bleibt - beim Gedanken daran, was auch Gang Of Four zum Thema eingefallen ist.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Please take
- Two minutes
- Moreover
- A flat tent
Tracklist
- Please take
- Now was
- Adapt
- Two minutes
- Clay
- Bad worn thing
- Moreover
- A flat tent
- Smash
- Down to this
- Red barked trees
Im Forum kommentieren
Söze
2013-10-09 23:20:03
Der Keyboarder war also nicht nur für die UK-Daten vorgesehen? Sehr schön. Werde sie am Samstag in St. Gallen sehen und erwarte Grosses. Schon auf der Red Barked Tree Tour vor gut 2 Jahren waren sie grossartig und das neue Album hat sich bei mir nach einigen Startschwierigkeiten inzwischen auch als ein ganz grosses im Wire-Kanon etabliert :-)
PS: Warum gabs davon hier eigentlich nie eine Rezension? Jede Nichtigkeit wird hier besprochen, aber wenn die Band, die nicht weniger als fast alles, was nach 1978 kam und gut war, erfunden hat, 35 Jahre nach ihrem Debüt ein grosses Album bringt, wird das beflissentlich ignoriert.
Herr
2013-10-09 23:01:35
Da kann sich der Herr an dieser Stelle selbst antworten:
Wire gestern im Postbahnhof, Ostbahnhof, Berlin: sehr gutes Konzert, mal wieder ein Keyboarder dabei, den man jedoch kaum hörte, am Ende alles so laut, dass der Herr an Herrzinfarkt denken musste.
Ein schwer erschließbare Logik, dass es mittlerweile Ohrstöpselautomaten gibt.
Herr
2013-08-31 22:33:27
Für mich waren Wire damals die von The Ideal Copy (Ahead) und A bell is a cup ... (The Finest Drops), und wiederentdeckt hatte ich sie mit den Brettern vom Send-Album, wir zB The Agfers of Kodak oder Comet, auch in Zusammenhang mit den Read&Burn EPs.
Daher wirken die anderen genannten Werke wie Zwischenresultate, obwohl vom Songwriting her immer stark.
:-)
2013-08-31 22:28:17
Au Wire.
Lichtgestalt
2013-08-31 18:29:01
Och, ich finde sie nach wie vor durchgehend super, auch Please Take und Bad Worn Thing.
Da hatte ich eher mit dem Nachfolger Change Becomes Us so meine Schwierigkeiten.
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