Francesco Wilking - Die Zukunft liegt im Schlaf
Tapete / IndigoVÖ: 14.01.2011
Erkenne Dich selbst
"Wir woll'n der Zukunft nicht ins Fenster gaffen / Sie liegt mit der Vergangenheit im Bett / Die ersten Menschen waren nicht die letzten Affen / Und wo ein Kopf ist, ist auch meist ein Brett." Wenn Erich Kästner damit Recht hatte, muss Francesco Wilking wohl eine Ausnahme sein - ein Mensch mit unverbaubarem Blick für das Bemerkenswerte. Es ließe sich nun darüber grübeln, warum das Solodebüt des Tele-Sängers ausgerechnet "Die Zukunft liegt im Schlaf" heißt, wenn doch jedes seiner Worte verrät, welch ein wacher Geist dahintersteckt, der nicht im Traum daran denken würde, im Traum nicht zu denken. "Keiner darf wie er kann / Keiner kann wie er soll / Keiner darf wie er will / Und niemand will wie er darf / Die Zukunft liegt im Schlaf", singt Wilking in Begleitung einer übernächtigten Akustikgitarre, und man ahnt die Botschaft: Weckruf auf Wahlwiederholung!
Wilking ist so ein Typ, der zehn Jahre lang Songideen, Textfragmente und Melodieminiaturen ins Mantelfutter einnäht, in Einmachgläser füllt und zwischen die Seiten guter Bücher legt, um dann zum richtigen Zeitpunkt aus all diesen Inspirationen ganz souverän eine Platte zusammenzupuzzeln. Die er an nur drei Tagen in einem heimeligen Berliner Studio aufnimmt, natürlich komplett live. Mit Musikern, die eigentlich nichts anderes als beste Kumpel sein können - mit wem sonst wäre es möglich, dermaßen nach blindem Verständnis zu klingen? Diese zehn Lieder besitzen die innere Ruhe und Ausgeglichenheit eines Zen-Mönchs, die wohlige Wärme eines Plumeaus mit Gänsefedernfüllung und die Ausgeschlafenheit eines Nachtportiers. An Wilkings Hauptband Tele erinnern in erster Linie die höchst wortgewandten Texte und seine ganz besondere Art, Sprache passgenau in Melodien zu modellieren.
Die Vergangenheit mag zwar gigantisch wirken, aber nur die Zukunft ist aus Fleisch und Blut - das behauptet zumindest eine grobe Übersetzung des Albumcovers mit dem klitzekleinen Klampfenmann vor dem imposanten Saurier-Skelett. So ganz stimmt das allerdings nicht, denn auf "Die Zukunft liegt im Schlaf" pulsiert das Singer/Songwriter-Herzblut der späten Sechziger und frühen Siebziger Jahre. Und es regiert eine charmante, hingebungsvolle Natürlichkeit; an Bob Dylan etwa erinnert nicht nur der Opener "Sag Sarah". Mit Akustikgitarre, Klavier, Mundharmonika und gedämpftem Blechbläser untermalt der Song die Geständnisse seines Protagonisten, der besagter Sarah ausrichten lässt, dass alles gut werde - "nur nicht mit mir". Die Sache mit der uneitlen Selbstreflexion hat Wilking drauf wie kein anderer.
"Keine Ahnung, was das war / Ich bin ein bisschen weg / Ich bin ein bisschen da", verkündet er in "Aber nie ganz" mit seinem flotten Banjo, das direkt aus dem Wilden Westen zu kommen scheint, ab Minute 3:33 jedoch Ferien auf Calypso Island macht. Wilking ist der diskrete Privatdetektiv unter den Storytellern, ihm entgeht kein entscheidendes Detail. "Leben ist Liebe" ist das schönste Beispiel dafür - eine beinahe meditative Bewusstwerdung, eingebettet in eine dezente Folk-Schwelgerei mit einem Hauch von Country und unzähligen Zeilen, die des Zitierens würdig wären. Bei dem Bossa Nova "Der Minister" greift Wilking dann selbst auf Caetano Velosos "Sampa" zurück. In "Die blaue Küche" brodelt ein köstlicher Trennungs-Boogie-Woogie, und das wunderbar nostalgisch arrangierte "Ein Film über uns" führt vor Augen, dass jede Beziehung zumindest einen filmreifen Abspann verdient. Und noch etwas ist nach diesen zehn Liedern klar: Wer der Zukunft ins Fenster gaffen will, soll doch einfach mal in den Spiegel gucken.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Sag Sarah
- Leben ist Liebe
- Die blaue Küche
- Ein Film über uns
Tracklist
- Sag Sarah
- Martha
- Aber nie ganz
- Leben ist Liebe
- Der Minister
- Ich werde alt
- Die blaue Küche
- Tunnelhausen
- Ein Film über uns
- Die Zukunft liegt im Schlaf
Referenzen