Neurosis - Live at Roadburn 2007
Neurot / Southern / CargoVÖ: 17.09.2010
Die Aggronauten
Eine zottelig-düstere Strohpuppe vor loderndem Scheiterhaufen und blutblauem Himmel, fotografiert aus der Froschperspektive. Das Negativbild eines Zyklons, dessen Auge jedoch nicht ins Zentrum rückt, sondern den Blick des Hörers nach unten zieht und gefangennimmt. Zwischen Katharsis, Schrecken und Klaustrophobie: Der Kampf von Neurosis fand stets auf der Ebene des Unbewussten statt. Sie feuerten Bilder, Farben und nicht zuletzt Klänge auf die leere Matrix der Psyche, rissen Löcher hinein, die sich aus- und umstülpten, bis sie Assoziationen, Reize und Affekte bildeten und zu bedrohlicher Präsenz ausreiften. Dass Neurosis ihre Musik dabei über zwei Jahrzehnte durchaus weiterentwickelten, ist ein weniger gut gehütetes Geheimnis als das eines durchschnittlichen Konzertbesuchs, nach dem mancher Gast ein tief empfundenes "Agg..." als einziges Zeugnis nach draußen trug: Eine zersauselte Strohpuppe, noch immer gefangen in einem Wirbelsturm.
Auf "Live at Roadburn 2007" lässt sich dieser multiplen Entwicklung hinterherhören. Schon längst erreichen Neurosis ihre klaustrophobische Güte im Gesamtpaket, nicht mehr, wie auf den Platten der Neunziger, mit jeder zu Tode gemarterten und verkrüppelt voranhumpelnden Note. Auch die Songs selber lassen inzwischen genau die Katharsis zu, die sie zuvor einfach mit in den Strudel zogen. Das ruft den merkwürdigen Umstand hervor, dass sich Neurosis selbst für ihr immerhin fünf Alben zählendes, seit "Souls at zero" richtungsweisendes Frühwerk nur noch selten wirklich interessieren. Dies allerdings kurioserweise sehr zu Recht. Denn was "A sun that never sets" und die beiden Nachfolger anzubieten haben, steht selbstbewusst und kraftvoll absolut für sich. Zudem hat sich ihre Musik natürlich auch nicht gerade von Drone zu Dixieland gewandelt.
"Live at Roadburn 2007" belegt nun sehr eindringlich, dass Neurosis auch live auf dem genau richtigen Dampfer Richtung Hades schippern. Die Veröffentlichung von "Given to the rising" stand unmittelbar bevor, weshalb die Songs des Albums knapp die Hälfte der Setlist ausmachen. Der Rest verteilt sich auf die direkten Vorgänger. Lediglich "The doorway" schnappt kurz herüber in die Neunziger und hat gleich mehr Metal, tiefergelegte Gitarren, zerrüttete Takte, Tribal und Gerumpel anzubieten als seine acht Mitstreiter zusammen. Dennoch bildet der Song den perfekten Abschluss eines beklemmenden Sets, das seine volle Wucht eben erst in ganzer Länge entfaltet.
So wird das Hirn des Hörers zwischen "Given to the rising" und "Left to wander" ordentlich durchgeklopft, aufgerieben und wundgekratzt, um von "The doorway" schlussendlich zerbröselt zu werden. Die melancholischen Atempausen, die "Burn" und "Distill" in ihren Zwischenparts bieten, werden bereits in diesen selbst zersetzt, letztlich aber ist es der finale Punch, der ihnen vollends den Garaus macht. Eine perfekte Erzählung dieser Adult-Angst-Maschine, die alles zermalmt, was ihr im Wege steht. Was auch heißt: selbstzerstörerisch die eigene Katharsis verschlingt. Deshalb waren und sind Neurosis nie derart eindeutig zu verorten wie die Nachfolger von Isis bis Callisto. Ihr Sound bleibt zerfressen, verwaschen und doch tief sowie trippig genug, um den Fängen der großen Post-Rock-Raupe zu entgehen. Ein tief empfundenes "Agg..." den Großmeistern der Gehirnwäsche.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Burn
- Crawl back in
- Water is not enough
- The doorway
Tracklist
- Given to the rising
- Burn
- A season in the sky
- At the end of the road
- Crawl back in
- Distill
- Water is not enough
- Left to wander
- The doorway
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