
Silje Nes - Opticks
Fat Cat / Rough TradeVÖ: 01.10.2010
Die Kunst des Verschwendens
Für die kleinen Dinge ist man ja selten allein genug. Das Rauschen des Herbstlaubes, das Mäandern des Sonnenkegels übers Parkett, der terraformende Blick über die Raufasertapete: Immer ist dann doch irgendetwas, das einen daran erinnert, wie sehr man gerade mal nicht erinnert werden wollte. Silje Nes, seit ihrem Debüt "Ames room" Solokämpferin mit multiinstrumentellem Background, ist, so scheint und klingt es, selbst für ihre Musik nie allein genug. Ausgebildet als klassische Pianistin, fällt der Norwegerin garantiert Besseres ein, als das in ihrer Musik auch nur ansatzweise hörbar zu machen. Vielmehr verwandelt sich jedes Instrument, das sie anfasst - und das sind eben alle, die auch auf ihrem Zweitwerk "Opticks" zu hören sind -, in Wassertropfen, die als Gespensterchor durch die Arrangements rieseln. Ihre Songs sind ein verregnetes Vordach oder, besser noch, ein Zimmer in einem Spukschloss, das an allen Decken, Türen und Fensterzargen Lecks aufweist, durch die ihre Musik tröpfchenweise einzudringen beginnt.
Deshalb sind selbst die Beats, auf denen "The caro house" und "Rewind" voranschreiten, letztlich nur späte Gäste, die aber auch nichts weiter im Schilde führen. Statt einen ganzen Song einzunehmen oder gar auszuformulieren, schauen sie nur kurz vorbei, beginnen einen zaghaften Tanz und wehen gleich darauf wieder davon. Oder aber sie branden wie Wellenschläge gegen den hölzern knarrenden Rumpf von "Silver > Blue". Field Recordings und Soundarchitektur verbinden sich bei "Symmetry of empty space" und "Levitation" besonders intensiv mit Nes' wahrlich riesigem Instrumentenkosmos. Ob nun Glocken- wie Windspiele, einzelne Trompetenseufzer, Backgroundchöre, Schifferklaviere, Zithern, Flöten, Harmonikas oder Percussions: Im Grunde scheinen sämtliche Instrumente als düsteres Geheimnis tief in den Wänden der Songs vergraben zu sein. Nur ab und an, jedoch stets im harmonischen Gleichmaß, werden sie von der Raumstatik angeschlagen. Oder aber sie pfeifen mit ganzen Geisterarmeen spooky um die Ecken.
Bei "Ruby house" spielt zum Abschluss eine Geige den Exorzisten. Ansonsten aber halten all die akustischen und halbresonierenden Gitarren noch am konsequentesten ihre Linie durch. Bis sie bei "Branches" und "The shades" selbst in den Strudel gezogen werden und nur hier und da noch eine haltsuchende Hand aus dem Atmo-Folk-Äther strecken. Im Grunde ist Nes so sehr einsame Wölfin, dass nicht nur all ihre Instrumente, sondern auch sie selbst zu einem atmosphärischen Klicken verschwinden. Zwar bildet ihre Stimme so etwas wie ein Zentrum, da sie schlicht als einziges ständig zugegen ist. Aber auch sie besitzt keine echte Körperlichkeit, um die herum sich die Musiktropfen sammeln würden. Bei aller Besinnlichkeit, die dem Album an der Oberfläche unterstellt werden könnte, dürfen jedoch keinesfalls die Mühe und Sorgfalt vergessen werden, die es braucht, um eine solch kompakte Stimmung aus derart vielen Kleinteilen sauber zu arrangieren. Letztlich ist hier nichts über, vergeudet, kommt alles zu seinem Recht. Hört man tiefer hinein, so beginnt "Opticks" wuselig zu leben - wie Herbstlaub, Sonnenstrahlen, Tapetenrelief: Perfekt, um keinen Gedanken zu verschwenden.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Symmetry of empty space
- Silver > Blue
- Levitation
- Crystals
Tracklist
- The grass harp
- Symmetry of empty space
- Rewind
- Silver > Blue
- The card house
- Levitation
- The shades
- Crystals
- Branches
- Hello luminance
- Ruby red
Referenzen