Pohlmann - König der Straßen
Virgin / EMIVÖ: 17.09.2010
Auf Wanderschaft
Neulich erzählte Ingo Pohlmann in einer TV-Talkshow, dass er für ihn reservierte Zugplätze niemals in Anspruch nimmt. Statt dessen lümmelt er sich lieber in die kleinen Übergänge zwischen den Waggons und klimpert auf der Gitarre. Diese kleine Anekdote zeigt: Man kann Pohlmann vielleicht einiges vorwerfen, aber nicht, dass er kein Musiker mit Herz und Seele ist. Sein drittes Album passt genau in dieses Bild: Hier stehen die Zeichen auf Aufbruch. Die Platte, die den Künstler weiterbringen soll, ohne dabei jedoch seine Wurzeln zu verleugnen. Und so sitzt Pohlmann nicht nur zwischen den Waggons, sondern musikalisch auch irgendwie zwischen den Stühlen Anspruch und Pop.
"König der Straßen" ist insgesamt größer arrangiert und aufgebaut als seine Vorgänger. Was im Grunde schade ist, weil es den im Titel implizierten Hobo-Gedanken wieder zunichte macht. Pohlmann springt nicht auf fahrende Züge auf und lässt sich mit dem Tage treiben. Nein, dieses Album ist mehr denn je eine ausgeklügelte Wanderkarte, die in dem passenden und mit allerhand nützlichen Gepäck vollgestopften Rucksack im dazugehörigen Fächlein adäquat und korrekt gefaltet untergebracht ist. So kann nämlich gar nichts schiefgehen. Größere Überraschungen bleiben aufgrund dieser guten Planung einfach aus. Während er früher zerstreut und suchend wirkte, scheint Pohlmann nun angekommen zu sein. Wo auch immer.
Wie erwartet hält er auch diesmal ein paar charmante Songs zwischen Jackjohnsontum und Janplewkarismus bereit. So rockt "Am Morgen danach" herrlich unbeschwert drauflos und gipfelt mit "Wir sind übrig geblieben / In derselben Suppe, in der wir alle liegen" in einer pointierten Zeile. "Wohin" hingegen ist ein entspannt verträumter Blues über Liebe und Fernweh geworden, der die Spannungen zwischen jugendlicher Aufbruchsstimmung und erwachsener Gesetztheit freischält. Pohlmann ist schließlich mittlerweile auch schon fast 40 - da kann er ruhig einmal ins Grübeln kommen.
Ein interessantes Experiment ist ihm mit "Ich schließe meine Augen" aber dann doch noch gelungen. Den Song kann man ohne falsche Scham als Singer/Songwriter-Prog bezeichnen, der mit seinen düsteren und im positiven Sinne zähen siebeneinhalb Minuten ein ganzes Stück am bisherigen Zielpublikum vorbeirauscht. Das könnte für die Zukunft eine interessante Richtung sein, steht aber wahrscheinlich in Widerspruch zu Pohlmanns grundlegendem Optimismus. Der Rest ist bekannt nett und ungefährlich, etwas für den leicht beschwingten letzten Sonnentag im Herbst, zwar ein wenig nachdenklich und subtil, aber dennoch lebensfroh. "König der Straßen" ist also Pohlmann wie immer. Nur diesmal etwas anders.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Am Morgen danach
- Ich schließe meine Augen
Tracklist
- König der Straßen
- Die Welt zerbricht
- Am Morgen danach
- Wenn sie lächelt
- Für dich
- Gut so
- Unten im Meer
- Wohin
- Selbstverliebt
- Heile Welt Kriege
- Ich schließe meine Augen
- Sie gingen nicht auseinander
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