Edwyn Collins - Losing sleep

Heavenly / Rough Trade / Cooperative / Universal
VÖ: 17.09.2010
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Das zurückgewonnene Selbst

Die Popwelt hatte Edwyn Collins eigentlich schon verloren. 2005 erlitt er zwei heftige Hirnblutungen, die ihm seine Sprache und Motorik raubten. Die Ärzte hatten ihn schon abgeschrieben, aber er überlebte. Gerade mit dem blanken Leben davon gekommen, fing er sich bei einer Operation an seinem Schädel auch noch das tückische MRSA-Bakterium ein. Nach sechs langen Monaten im Krankenhaus war er weit davon entfernt, wiederhergestellt zu sein, geschweige denn je wieder Musik machen zu können. Doch er und seine Familie nahmen die Herausforderung an. Mit "Falling and laughing: The restoration of Edwyn Collins" fasste seine Frau Grace Maxwell letztes Jahr die langwierige und mühselige Rehabilitation in einem berührenden Buch zusammen. Und jetzt wird das unmöglich Erscheinende wahr: Edwyn Collins veröffentlicht ein neues Album.

"Losing sleep" ist jedoch kaum eine trübsinnige Verarbeitung seiner Krankheit. Aus Collins' siebtem Album strömt eine genussvolle Lebensfreude. Hier kostet ein Mensch jeden Tag der Existenz aus und ärgert sich nicht über lästige Einschränkungen. Wegen seiner rechtsseitigen Lähmung kann Collins nie wieder Gitarre spielen, und manchen Silben merkt man die beschwerliche Artikulation des Schlaganfallpatienten noch an. Doch Collins wächst über die Hindernisse hinaus: Der beseelte Bariton, mit dem er einst "A girl like you" besang, sorgt auch in den zwölf neuen Songs für melancholische Eindringlichkeit auf Basis von Vintage-Grooves und Motown-Soul. Edwyn Collins is still alive.

Zwar kann er seine Songideen nicht mehr selbst einspielen, doch er summt sie jetzt in ein Diktiergerät. Die Hilfe bei der Umsetzung gewährten ihm viele seiner Kollegen gerne. Ex-Sex-Pistol Paul Cook am Schlagzeug und "Little" Barrie Cadogan an der Gitarre sind die Stammmannschaft von "Losing sleep". Rick Jarman von den Cribs, deren 2005er Zweitling "The new fellas" Collins produziert hatte, ist gleich bei drei Songs von der Partie. Alex Kapranos und Nick McCarthy von Franz Ferdinand werfen sich beseelt in den Refrain von "Do it again" und lassen auch noch eines ihrer knackigen New-Wave-Riffs da. Johnny Marr spendierte die flockigen Gitarren für "Come tomorrow, come today", die sich vortrefflich mit dem süffigen Sixties-Flair vertragen. Zusammen mit Roddy Frame von Aztec Camera gemahnt das sanfte "All my days" an kalifornische Sommer, und passend dazu sorgt Romeo Stodard (The Magic Numbers) in "It dawns on me" für leicht verdaulichen Sonnenschein.

Zentraler Höhepunkt der Hilfestellungen ist ausgerechnet der Beitrag der neuen Szene-Lieblinge The Drums. Collins barmt seine Strophe über deren trockenen Schwung, während Jonathon Pierce zu hallenden Single-Notes vom Loslassen träumt. "And if you wanna go / Then I let you go, no, you don't have to stay / Sometimes I get tired / And I know you got to find a new way / I see it in the sky / I see it in your eye." Die Orgel weint noch leise, aber Handclaps und Melodie lächeln schon gemeinsam. Und wenn diese beiden Stimmen zusammenfinden, ist kein Gedanke an Kummer mehr übrig. Es darf geseufzt werden. Das nostalgische Gefühl, das "Losing sleep" prägt, ist nicht einfach nur die wehmütige Erinnerung an bessere Zeiten. Collins lehrt uns, jeden Tag zu genießen.

(Oliver Ding)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Losing sleep
  • What is my role?
  • In your eyes
  • I still believe in you

Tracklist

  1. Losing sleep
  2. What is my role?
  3. Do it again
  4. Humble
  5. Bored
  6. In your eyes
  7. I still believe in you
  8. Come today, come tomorrow
  9. It dawns on me
  10. Over the hill
  11. All my days
  12. Searching for the truth
Gesamtspielzeit: 42:30 min

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