The Charlatans - Who we touch

Cooking Vinyl / Indigo
VÖ: 03.09.2010
Unsere Bewertung: 4/10
4/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Im Delirium

Es wäre ein Leichtes, die Rezension zum neuen Album der Charlatans mit einem Querverweis auf die historischen Großtaten der Band zu beginnen. Doch ehrlich gesagt sind chronologische Rückblicke wenig sinnvoll: Vom Pioniergeist und Genie der frühen Tage sind The Charlatans 2010 trotzdem so weit entfernt wie niemals zuvor. Alternde Britpop-Bands neigen anscheinend per se zu Spätwerken bar jeder Einfälle, siehe Happy Mondays, Suede oder Ashcroft und The Verve. "Who we touch" ist das nunmehr elfte Album des Quintetts und wirkt reichlich inspirationsbefreit. Mit der jovialen Altersweisheit abgehalfteter Künstler winken die Briten hier zehn weitere Songs durch, die in den schwungvollen, verdrogten frühen Neunzigern keinen feierwütigen Raver unterm Wohnzimmertisch hervorgelockt hätten.

Man könnte nun den Einwand äußern, dass eine Band mit der Zeit auch an Reife gewinnt, gesetzter wird und irgendwann keine Lieder mehr über durchgemachte Nächte, leichte Mädchen und den real existierenden Hedonismus komponiert, sondern in anderen Kategorien denkt. So weit, so gut. Aber in den meisten Fällen geht das nun einmal schief, und oft wäre eine Auflösung wohl der einzige Ausweg aus der selbst verschuldeten Ideenlosigkeit. Das Ei des Kolumbus, um das eigene, höchstverdiente Denkmal nicht zur Gänze zu dekonstruieren.

Dabei macht "Who we touch" dem Hörer zu Beginn sogar Hoffnungen: Die ersten drei Stücke geizen nicht mit Abwechslung, insbesondere das harmonisch perlende "Your pure soul" berauscht. Wenn The Charlatans dieses Niveau gehalten hätten, wäre das hier ein feines Album mit wohltemperiertem Adult-Pop für die gepflegte Nachmittagsunterhaltung geworden. Im weiteren Verlauf wird die Miene jedoch immer finsterer: Das Doppel aus "Intimacy" und "Sincerity" breitet sich aus wie ein narkotisierender Nebel und kreist monoton über dem Hörer, der wiederum den Eindruck gewinnt, dass The Charlatans selbst keine rechte Lust auf diese Lieder haben.

Die zweite Albumhälfte verstärkt den Eindruck, hier einer Band zuzuhören, die selbst nicht so richtig weiß, wo sie hinmöchte. Einzelne Songideen werden auf sechseinhalb Minuten gestreckt und wirken wie schlechtes Koks für die Ohren. Höhepunkt des Deliriums ist der vermeintliche Schlusspunkt "You can swim", der binnen weniger Sekunden klarmacht, dass zwischen der bloßen Ambition, einen Brian-Eno-infizierten Song zu schreiben, und der gelungenen Umsetzung mehr liegt als nölige Ambientsuppe. Das Beste daran wäre die Gewissheit, dass man es bis ans Ende geschafft hat, würde sich nicht noch ein obskurer Hidden Track - wer macht sowas überhaupt noch? - anschließen, der das Urteil nur bekräftigt: "Who we touch" ist ein eher träges Album, das einen dann doch etwas wehmütig zurücklässt. Die fetten Jahre sind vorbei, nur leider haben The Charlatans das noch nicht begriffen.

(Kevin Holtmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Love is ending
  • Your pure soul

Tracklist

  1. Love is ending
  2. My foolish pride
  3. Your pure soul
  4. Smash the system
  5. Intimacy
  6. Sincerity
  7. Trust in desire
  8. When I wonder
  9. Oh!
  10. You can swim
  11. I sing the body eclectic
Gesamtspielzeit: 56:45 min

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