Antitainment - Ich kannte die, da waren die noch real

Zeitstrafe / Cargo
VÖ: 02.07.2010
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Synapsen, hört die Signale!

Gehört Ihr auch zu denen, die normalerweise nur verächtlich mit der Schulter zucken, wenn ein Bekannter sagt: "Ey, ich muss dir mal eine neue Band vorspielen, die ist so krass"? An sich eine verständliche Geste, da einer solchen Ankündigung zumeist ein wenig erfreuliches Hörbeispiel folgt. Wenn der Bekannte jedoch den Namen Antitainment erwähnt, solltet Ihr das abfällige Getue lieber sein lassen und ihm Recht geben. Denn diese Band ist wirklich krass. Ungefähr so krass, wie man sein kann, wenn man Punkgeschrammel mit Synthie-Gefiepe, Schweinerock und messerscharfen Metalriffs kombiniert und seinen Songs Titel wie "The sound of Produktionszwang" oder "Eigentlich wollte ich nicht mehr über Musik reden, sondern raven" gibt. Als grober Anhaltspunkt. Denn eigentlich klingen Antitainment dann doch wieder anders. Und alle fünf Minuten anders sowieso.

In äußerst knapp bemessener Spielzeit schafft es das Quartett aus Frankfurt am Main auf seinem dritten Album, dem Hörer Knoten ins Gehirn zu spielen und dort die widersprüchlichsten Emotionen hervorzurufen. Natürlich ist es legitim, sich über den Gesang und seine Mischung aus Tourette-Syndrom und Koffeinschock lustig zu machen, aber auch ebenso unabdingbar, das klare und zielstrebige Songwriting zu würdigen, das hinter dem scheinbar chaotischen Krachinferno steckt. Nicht zu vergessen die technische Perfektion der immer wieder hervorpreschenden Gitarrenattacken. Und als wäre das noch nicht genug, heißt es wenig später: "Kleinhirn an Tanzbein: Bewegen!", weil aus dem Nichts plötzlich ein schmissiger Elektrobeat auftaucht.

Ähnlich extrem verhält es sich bei den Texten, die irgendwo zwischen zwischen debil und genial liegen - wie das komplette Album. "Heute beim Rasieren geschnitten! Der Sack blutet ziemlich doll! Haha! Das hat niemand erwartet", verkündet Sänger Tobi in "Drei Tage schlafen" und hat damit vermutlich vollkommen Recht. Bei "Neulich im Seminar für Existenzgründung" jauchzt sogar das Dada-Herz: "Teigtaschen! Wir verkaufen gefüllte Teigtaschen! Damit wir am Ende sagen können: Das haben wir uns alles selber aufgebaut!" Antitainment fordern vom Hörer Be- oder Entgeisterung - darunter machen sie es nicht. Und halbe Sachen kommen ohnehin nicht in Frage. Ein Album wie ein Musik gewordener Stroboskopeffekt, das die Synapsen ohne Unterlass malträtiert und dem einen oder anderen zu viel sein dürfte. Wer aber tapfer ausharrt, wird reich belohnt.

(Mark Read)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Drei Tage schlafen
  • Der Weg liegt voll mit Scheiße
  • Eigentlich wollte ich nicht mehr über Musik reden, sondern jammen
  • Neulich im Seminar für Existenzgründung
  • Das Halbe ist die Lebensordnung

Tracklist

  1. Eigentlich wollte ich nicht mehr über Musik reden
  2. Drei Tage schlafen
  3. Eigentlich wollte ich nicht mehr über Musik reden, sondern verkaufen
  4. Der Weg liegt voll mit Scheiße
  5. Eigentlich wollte ich nicht mehr über Musik reden, sondern jammen
  6. Gegen dich und deine Freunde
  7. Neulich im Seminar für Existenzgründung
  8. Eigentlich wollte ich nicht mehr über Musik reden, sondern raven
  9. Das Halbe ist die Lebensordnung
  10. Und was hast Du so gemacht?
  11. The sound of Produktionszwang
Gesamtspielzeit: 23:37 min

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