Tom Jones - Praise & blame
Island / UniversalVÖ: 23.07.2010
Selbsterkenntnis
Man stelle sich vor: Tom Jones marschiert mit katastrophenresistentem Kukident-Grinsen in die Chefetage seiner Plattenfirma. Die Bosse vermögen ihre Bestürzung ob des neuen Albums kaum zu verbergen: Sie wollten triefenden Casino-Schmalz und unanständig hüftschwingende Sexbomben-Boogies - und keine Platte mit religiös motiviertem Firlefanz, wie sie jetzt vor ihnen liegt. Und dann weist Jones die PR-Leute auch noch darauf hin, dass er sich bei Interviews künftig sämtliche Fragen verbittet, die sich um Frauen drehen - selbst wenn es die eigene sein sollte. Er habe schließlich endlich einmal etwas anderes zu sagen als "You can give it to me when I need to be turned on" oder "It's not unusual to go out with anyone". Und Erfolg oder Misserfolg lägen ohnehin nicht in seiner Hand - vielmehr in der des Gottes, zu dem Jones auf "Praise & blame" spricht.
Und die spirituelle Umorientierung einmal außen vor gelassen - eine musikalische tat jedenfalls Not nach dem Rohrkrepierer "Mr. Jones", den er 2002 seinem überraschenden Duett-Comeback "Reload" hatte folgen lassen. In nur vier Jahren vom frischzellenkurierten Tiger zum jämmerlichen Bettvorleger - das war schon arg anzuhören, sofern man es denn überhaupt aushielt. Auf "Praise & blame" gibt Jones nach dem zu beträchtlichen Teilen selbst verzapften Vorgänger nun wieder souverän den Interpreten fremder Songs - auch wenn es sich nicht um überkandidelte Las-Vegas-Standards, sondern um gottesfürchtige Traditionals und Klassiker handelt, die einst Bob Dylan, die Staple Singers oder Mahalia Jackson sangen.
Dabei muss man nicht nur inhaltlich an Johnny Cash und die von Rick Rubin inszenierte Katharsis seines bewegten Lebens denken, wenn der bereits an Ryan Adams oder Kings Of Leon erprobte Ethan Johns dem inzwischen 70-Jährigen einen teils Gospel-lastigen, teils bluesig und ungemütlich rockenden Background zimmert. "Lord help" kickt einen vorzüglichen Rock'n'Roll-Backbeat und steigert sich zu einem tosenden Finale, das unablässige Knirschen und Kratzen von John Lee Hookers "Burning hell" hätte Jack White nach einer Portion Kreide zum Frühstück auch nicht viel besser hingekriegt. Und die gelegentlich aufpoppenden, jubilierenden Backgroundchöre - na ja, die sind hoffentlich wenigstens dem Herrn ein Wohlgefallen.
Dazu croont sich Jones ergeben und voll bitterer Selbsterkenntnis durch die Songs. Betrauert in Dylans rührendem "What good am I?" zu behutsam pochendem Schlagwerk und sparsamster Instrumentierung die eigene Unzulänglichkeit, muss bei "Did trouble me" von Susan Werner ernüchtert erkennen, dass Hochmut eine Todsünde ist, die stets vor dem Fall kommt, und entsagt im Rocker "Run on" offiziell seinem Status als Frauenheld: "Some people go to church just to signify / Or try to make a date with the neighbour's wife / But brother let me tell you as sure as you're born / You better leave that woman alone." Lektionen in Demut von einem, von dem man sonst eher markige Worte und dicke Glitzerhose gewohnt war. Wie war das noch mal mit der Selbsterkenntnis und der Besserung?
Highlights & Tracklist
Highlights
- What good am I?
- Lord help
- Burning hell
Tracklist
- What good am I?
- Lord help
- Did trouble me
- Strange things
- Burning hell
- If I give my soul
- Don't knock
- Nobody's fault but mine
- Didn't it rain
- Ain't no grave
- Run on
Referenzen
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