Perfume Genius - Learning

Matador / Beggars / Indigo
VÖ: 25.06.2010
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Riech doch mal!

Ordnung ist das halbe Leben - und die andere Hälfte verbringt man damit, das Chaos zu sortieren. Da macht Mike Hadreas alias Perfume Genius allerdings nicht mit. Er verzichtet auf Linien- und Löschblatt, auf den schützenden Mantel der Perfektion und abschließbare Hintertüren. Sein Debütalbum "Learning" ist nicht weniger als der ungeschminkte Mitschnitt seiner persönlichen Katharsis, aufgenommen im Haus seiner Mutter irgendwo im Bundesstaat Washington, wohin sich der 26-Jährige nach diversen seelischen Achterbahnfahrten und unschönen Exzessen mit Betäubungsmitteln zurückgezogen hatte. Zehn Lieder, entstanden auf dem Klavier seiner Kindheit, das klingt, als würde die Vergangenheit darin wohnen.

In weniger als einer Schulstunde, genauer gesagt in 28 Minuten und 59 Sekunden, wühlt sich "Learning" durch Träume und Traumata. Da wäre beispielsweise die ebenso wahre wie seltsam berührende Geschichte einer unheilvollen Liaison mit dem Lehrer "Mr. Peterson", ein Drama erster Güte: "He made me a tape of Joy Division / He told me there was part of him missing / When I was 16 / He jumped off a building." Der Musik hört man die Tragödie nicht an, "Mr. Peterson" ist das flotteste und fröhlichste Stück der Platte. Oder zumindest das am wenigsten melancholische - die anderen Songs baden geradezu in sepiafarbenen Emotionen. Der NME nennt das "a fragile, fucked-up little wonder".

Es sind dann doch mehr Wunden als Wunder, die einem auf diesem Album begegnen. Lieder mit abgerissenem Pflaster, so zerbrechlich, verletzlich und intim, dass man sich zunächst gar nicht traut, hinzuhören. Es ist ein bisschen so, wie in einem fremden Tagebuch zu blättern. Hadreas braucht auf seinem Erstlingswerk kaum mehr als das alte Piano, außer bei "Gay angels" und "No problem", zwei Synthesizer-Schwelgereien im Slow-Motion-Modus. Den Gedanken an Zuckerwatte-Wölkchen und Trockeneis-Nebel gibt es gratis dazu. Man würde beides jedoch hin und wieder gerne gegen einen echten Spannungsbogen, eine große Melodie oder auch etwas mehr Struktur eintauschen. Vieles wirkt fragmentarisch, da werden schon einmal drei Tracks am Stück in weniger als sechs Minuten abgehandelt.

Dass Perfume Genius dennoch eine imponierende Duftmarke hinterlässt, liegt an Liedern wie "Lookout, lookout" oder "Perry", die sich anschmiegen und einprägen, ohne auch nur annähernd aufdringlich zu sein. Streng genommen ist dieses Album zwar nichts weiter als eine chronologische Sammlung von Homerecording-Demos, entfaltet aber dennoch seinen ganz eigenen Charme. Und dann wäre da noch diese zarte, jungenhafte und manchmal so zauberhaft schüchterne Stimme. "Learning" hat etwas wunderbar Unschuldiges, Unverfälschtes, Unmittelbares - da kann man zum Finale schon mal ein Goethe-Zitat lockermachen: "Ein jeder lernt nur, was er lernen kann / Doch der den Augenblick ergreift / Das ist der rechte Mann." Wie wahr. Immer der Nase nach.

(Ina Simone Mautz)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Lookout, lookout
  • Mr. Peterson
  • Perry

Tracklist

  1. Learning
  2. Lookout, lookout
  3. Mr. Peterson
  4. Gay angels
  5. You won't b here
  6. Write to your brother
  7. No problem
  8. When
  9. Perry
  10. Never did
Gesamtspielzeit: 28:59 min

Im Forum kommentieren

Gordon Fraser

2011-01-13 16:28:03

Das ist zum sterben schön. Seufz.

Heulender Vogel

2010-07-15 12:29:14

Sie beurteilt den Grad der Melancholie nur anhand einer Melodie. Können Texte nicht melancholisch sein bzw. einen hohen Anteil zur Melancholie beitragen?

Beispiel Casimir Pulaski Day von SS, melodisch eher so ein "Lala"-Lied, textlich so abgrundtief traurig wie kaum was anderes auf der Illinois. Ich würde nie auf die Idee kommen, dieses Lied als flottes oder fröhliches Stück zu bezeichnen.

Die Bewertung ist mir übrigens egal, damit kann ich leben.

Leatherface

2010-07-15 12:00:18

Meiner Meinung nach ist sie korrekt und mit Den Gedanken an Zuckerwatte-Wölkchen und Trockeneis-Nebel gibt es gratis dazu. Man würde beides jedoch hin und wieder gerne gegen einen echten Spannungsbogen, eine große Melodie oder auch etwas mehr Struktur eintauschen treffend beschrieben.

Nur zur Erklärung

2010-07-15 11:56:33

Eine Bewertung kann nicht korrekt oder inkorrekt sein.

Leatherface

2010-07-15 11:52:56

Die Bewertung ist korrekt.

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