Goethes Erben - Nichts bleibt wie es war

Zeitbombe / Strangeways / Indigo
VÖ: 12.11.2001
Unsere Bewertung: 4/10
4/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Mummenschanz

Theatralik steht ganz oben bei den selbsternannten Erben des großen deutschen Klassikers. 1989 als Versuch gegründet, das gesprochene Wort und musikalisches Theater zu verheiraten, haben sich Goethes Erben mit Alben wie \"Das Sterben ist ästhetisch bunt\" oder \"Schach ist nicht das Leben\" als feste Größe in der einheimischen Schwarzkittel-Szene etabliert. Oswald Henkes wort- und bildreiche Schilderungen und deren mal finstere, mal melancholische Umsetzung durch Multi-Instrumentalistin Mindy Kumbalek streben nach Höherem. Kunst soll es doch bitte schön sein. Der Name verpflichtet schließlich.

So steckt auch hinter \"Nichts bleibt wie es war\" ein handfestes Konzept. Die Kluft zwischen Erinnerungen an die Vergangenheit und düsteren Zukunftsvisionen will man überbrücken. Während sich die sanfte Seite der Erben \"Zeit nachzudenken\" nimmt, schwingt Henke dazu die große Formelkeule: \"Die wirre Jugend stiehlt so unbeholfen / Noch von Schuld befreite Küsse / Von fremden Lippen, die nicht begehren / Nur nach Abenteuer schmecken\". Sanft plätschernde Elektronik ringt währenddessen um künstliche Wärme, findet aber nur \"Paradoxe Stille\".

Nachdem Peter Heppner dem kristallinen \"Glasgarten\" mit seiner Stimme ein wenig Schönheit geschenkt hat, kriecht unter dem Untertitel \"Zornige Utopien\" bald der Alptraum aus den zugigen Löchern im Klang. Dem Drama verpflichtet wirft Henke jegliche politische Korrektheit beiseite, um sich Themen wie dem Abwurf von Atombomben, der Rache der Erzengel, der Heuchelei der Kirche und Selbstmord zu widmen. \"Kain ist schwul und Abel tot\", weiß Henke in \"Himmelgrau\" und bläst endzeitliche Bilder bis zum Zerplatzen auf.

Das ist selten subtil, oft aber handfest verstörend. Wenn zuckersüß von der \"Fleischschuld\" berichtet wird, mit der ein fiktiver Staat zur Wiedergutmachung von Straftaten Selbstverstümmelungen und -amputationen durchführen läßt, weiß man kaum, ob fassungslose Faszination oder Übelkeit die passende Reaktion wäre. Mit einem düsteren Strudel aus Sterilitätswahn und paranoiden Drogenphantasien prangt das zweiteilige \"Zimmer 34\" wie ein knallrotes Feuermal auf dem der Bleiche verpflichteten Antlitz des Duos.

Weit weniger spektakulär als die pathetischen Wortreihungen Henkes kommt die musikalische Untermalung daher, die sich meist lediglich der großen Klischeekiste bedient. Da triefen die Streicher, da grummeln die Zerrgitarren, da treibt der Drumcomputer, und oft klingt man gotischer als der Kölner Dom. Zwar kann sich die Beschallung durchweg den zerrissenen Stimmungen anpassen, aber nie die erhoffte Magie entfalten. Die großen Gesten begraben sich selbst unter Schichten aus wagnerianischem Bombast. Zwischen Klassizismus und Apokalypse bleibt der selbstgesteckte Anspruch schließlich auf der Strecke. Es ist die eigene Künstlichkeit, die der Kunst im Wege steht.

(Oliver Ding)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Glasgarten
  • Fleischschuld

Tracklist

  1. Der Eissturm
  2. Vermisster Traum
  3. Ganz still
  4. Paradoxe Stille
  5. Glasgarten
  6. Nichts bleibt wie es war
  7. Himmelgrau
  8. Ganz sanft
  9. Rotleuchtende einst weiße Engel
  10. Fleischschuld
  11. Zimmer 34 (Teil 1)
  12. Zimmer 34 (Teil 2)
  13. Nur ein Narr
  14. Was war bleibt
  15. Schreiheit
  16. Mensch sein
Gesamtspielzeit: 66:30 min

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  • Goethes Erben (27 Beiträge / Letzter am 13.11.2010 - 22:34 Uhr)