M.I.A. - Maya

XL / Beggars / Indigo
VÖ: 09.07.2010
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Morgen ist auch noch ein Schlag

Jetzt ... nein ... jetzt ... eine Sekunde vorbei, die nächste Sekunde durch. Die Zeit ist eine Schnellstraße, die nur so vorbeirast. Momente zerfallen schneller, als der Fotoapparat knipsen kann. Da ist es ein Wunder, dass es immer wieder Leute gibt, die der Zeit und ihrem Geist trotzdem voraus sind. Dass Maya Arulpragasam zu diesen Menschen gehört, ist seit den beiden Streichen "Arular" und "Kala" bekannt, die sie unter dem Namen M.I.A. auf die schuldige Popwelt losließ. Und die staunte nicht schlecht, als sich jene ästhetische Hülle aufblähte und wieder mit Bedeutung bepumpen ließ. Da wurde der Kopf morgens um halb fünf auf den Boden der nächstbesten Großraumdiskothek gelegt und doch in alle Himmelsrichtungen der Musik gewildert. Wut, Spucke und Wille waren die Triebkraft zum nächsten Stampfer. Das war zu viel. Sowohl für die Zeit als auch für den Pop, die beide diese Künstlerin nicht aushalten wollten, nicht aushalten konnten. Sie wurden beide einfach in ihren Grenzen gesprengt.

Wut und Spucke gibt es auf dem dritten Streich "Maya" immer noch. Etwa in der Vorabsingle "Born free", welche Suicides "Ghost rider" auf links zieht und mit Steroiden zum pulsierenden Momentum macht. Dazu ein Video, das MTV nicht mal in seinen lichtesten Momenten über den Äther geschickt hätte. Ein Statement ist ein Statement ist ein Statement - und dies ist vor allem eins, das sofort sitzt. Doch bereits "Steppin' up" kramt beinahe so tief in der Werkzeugkiste wie die halbe Diskographie der Einstürzenden Neubauten. Noch mehr als bei "Kala" wurde Unnötiges weggeholzt. Dadurch sind die Songs einfacher ineinander gewachsen. Bedrohung steht wie selbstverständlich neben Liebesgrüßen, Pop neben der nächsten Schippe drückender Rhythmen. "Maya" ist in seinen Ideen einfacher als seine Vorgänger, in seiner Ausführung aber weitaus gemeiner. So ist es bei "Teqkilla" ein echtes Wagnis, überhaupt erstmal einen Fuß reinzusetzen. Übersteuert, überdreht und übergeschnappt. Die Beats rasen nur so durch das Klangbild, während alles andere versucht, die Welt ins Wanken zu bringen.

Doch wer dachte, dass dies nicht mehr zu überbieten sei, dem wird das Innenohr von "Meds and feds" in der zweiten Hälfte weggeblasen. Auf den Dada-Beat knallt eine E-Gitarre und über allem trumpft M.I.A.: "I just give a damn." Danach der Himmel von "Tell me why", das jedem Stimmband der Welt Tür und Tor öffnet. Der Glaube würde aufkommen, dass das ein fast versöhnlicher Ton ist, wenn nicht Resignation und Ratlosigkeit in den Worten mitschwingen würden. Die Stimmung ist längst gekippt und der schleichende Zynismus von "XXXO" hat sich längst verkehrt, doch die Bitterkeit ist geblieben. Pop nicht um seiner selbst, sondern um Mayas Willen. Melodien werden nur in wenigen Momenten zu Ende gesponnen. Die treibende Rhythmik schleppt am Ende sowieso alles mit sich fort. Dieser Wust aus Wucht ist auf den Ruinen seiner Vorgänger entstanden, die in ihre Einzelteile zerlegt wurden. Das ist immer noch jener überdrehte Weltzirkus, der seine Laufbahn nur enger gezogen hat. Keine Fanfaren, keine Gastauftritte mehr. "Maya" setzt die Attacken noch genauer und mit mehr Durchschlagskraft an. Da wird sich schamlos bei schmeichelndem Dance-Pop bedient, um dann nur den nächsten Klang-Wall hochzuziehen, bevor sich in "Space" letztendlich alles auflöst und in grünem Neonlicht versinkt. Das trügerische Gefühl macht sich breit, dass Miss Arulpragasam wieder einen Schritt weiter ist. Dabei grüßt sie nur mit Ohrfeigen von morgen. Die Zukunft kennt keine Schnappschüsse.

(Björn Bischoff)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Steppin' up
  • Born free
  • Meds and feds
  • Tell me why

Tracklist

  1. The Message
  2. Steppin' up
  3. XXXO
  4. Teqkilla
  5. Lovalot
  6. Story told
  7. It takes a muscle
  8. It iz what it iz
  9. Born free
  10. Meds and feds
  11. Tell me why
  12. Space
Gesamtspielzeit: 42:01 min

Im Forum kommentieren

Affengitarre

2020-10-08 19:19:13

Stimmt, auch bei der "Kala" war teilweise Quatsch dabei.

Felix H

2020-10-08 19:06:51

Zwischen "Teqkilla" und "Born Free" hängt die Platte echt durch. Und "Tell Me Why" finde ich immer noch wahrhaft furchtbar.

Der Rest ist schon sehr cool, aber die Lowlights machen dann doch einen großen Teil aus.

Fairerweise gesagt: Für mich hat jedes ihrer Alben Füller. Ist eher eine Song-Künstlerin.

Affengitarre

2020-10-08 16:32:00

Ja, als Song ist "Stepping Up" vielleicht nicht so stark, aber ich mag diese Klangcollage doch ganz gern.

MopedTobias (Marvin)

2020-10-08 16:27:02

Stimme ich dir weitgehend zu, finde nur den Quasi-Opener "Steppin up" auch nicht so dolle. "Teqkilla" und "Born free" sind die Highlights, sonst gibt's ein bisschen Quatsch, aber auch andere gute Sachen. Schwächer als der Vorgänger, aber immer noch stark.

Affengitarre

2020-10-08 15:30:36

Der Lauf bis einschließlich "Teqkilla" ist echt klasse, ich mag diesen noisigen, aggressiveren Sound. Danach wird es leider unspektakulärer, bis mit "Born Free" nochmal ein ordentlicher Hit kommt und "Meds and Feds" das Niveau auch weiter hoch hält. Schönes Ding insgesamt.

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