Nachlader - Koma Baby lebt!

BoingBoing / Rough Trade
VÖ: 30.04.2010
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Sinkt und lacht

"Geh doch nach Berlin!" So höhnten einst Angelika Express über den Hauptstadt-Hype. Der ebenda wohnhafte Daniel Baumann alias Nachlader setzte dieser Häme zeitgleich "Bock auf Aphorismen" entgegen, ein ordentliches Stück Electro-Pop mit punkrockiger Schlagseite, das die Zusammenhänge zwischen Nichtstun, Arbeit und Geld erörterte. Nach dem Ende des Majordeals hat Baumann den Nachfolger nun mit Gründung eines eigenen Labels ähnlich pragmatisch realisiert wie die Kölner Kollegen ihr Album "Goldener Trash" mittels einer Fan-Aktie. Wobei sich nicht allzu viel geändert hat: Auch "Koma Baby lebt!" dreht sich um teilnehmende Prekariatsbeobachtung und listige Analyse einer Gesellschaft am Existenzminimum, die sich das Tanzen nicht verbieten lässt.

Nicht nur in Berlin gibt es sie schließlich an jeder Ecke: Existenzen, die wild entschlossen sind, alleine mit Party durchs Leben zu kommen. Die von Kommunikationsmitteln umgeben sind, aber trotzdem unfähig, sich mitzuteilen. Und auch zu Krisenzeiten regelmäßig verblüfft feststellen, dass am Ende der Kohle immer so viel Monat übrig ist. Allesamt Phänomene, die Baumann vermutlich nicht zuletzt deswegen auf äußerst spaßige Weise reflektiert, weil er sich selbst darin wiederfindet: "Warum muss ich immer Soll haben, wenn ich Haben haben soll? / Ich könnt's so gut haben mit Guthaben / Statt dessen mach ich Rock'n'Roll". Oder vorsichtiger ausgedrückt: elektronische Rockmusik mit zuweilen verstärktem Gitarreneinsatz und dem indiskreten Charme der Grenzdebilität.

Eine unterhaltsame und kurzweilige Angelegenheit ist "Koma Baby lebt!" aber auch, weil Baumann auf allzu zynisches Ätzen und Teufeln verzichtet und einem die schmutzige Wahrheit nicht ständig wie einen nassen Fisch um die Ohren haut. "Pommes und Disco" etwa gibt einen launigen Electro-Boogie, dessen angedeuteter Zeigefinger sich durch Verweise auf Sesamstraße, Simpsons und Fix & Foxi selbst demontiert. Dass soziale Netzwerke genaugenommen keine sind, bestätigt "Raus auf die Straße" mit Singalong-Refrain und Kalauern wie "Wer nichts wird, wird virtuell". Und während das Grinsen breiter wird, merkt man: Stab- und Schüttelreime sowie fingierte Dialoge in Berliner Schnauze können richtig Laune machen, wenn Humor und Popfaktor stimmen.

Beides trifft hier meistens zu. "Soll / Haben" rast auf einem steifen Punkrock-Riff in die Pleite, "Hasch" kultiviert Perspektivlosigkeit und Prokrastination mit der Entspanntheit eines weniger intellektuellen PeterLicht, und "Trampolin" hüpft putzmunter zwischen Kraftwerk-Zitat und Deichkinds "Limit"-Sequenz hin und her. Dass das tolldreist in den Sand gesetzte NDW-Plastikmonster "Air Italia" gegen Frontalaufprall strebt, ist dabei genauso zu verknusen wie die Zeile "Milch und Eier für die Waffel-SS" zu einer skizzierten DAF-Blaupause. Selbst der pseudo-rheinische Karnevalsschlager "Atlantis" ergibt in seiner hemmungslosen Bescheuertheit irgendwie Sinn. Denn was wäre denn so eine Krise ohne ein bisschen was zu lachen?

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Pommes und Disco
  • Raus auf die Straße
  • Soll / Haben
  • Trampolin

Tracklist

  1. Nahause
  2. Pommes und Disco
  3. Komm mit
  4. Raus auf die Straße
  5. Soll / Haben
  6. Hasch
  7. Kommunikationsproblem
  8. Trampolin
  9. Air Italia
  10. Milch und Eier
  11. Allein
  12. Atlantis
Gesamtspielzeit: 45:25 min

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