
Maeckes - Kids
Chimperator / Rough TradeVÖ: 26.03.2010
Ohne Aufsicht
Irgendwann im Kindergarten kommt der entscheidene Tag, an dem der Blick auf den Kern der Dinge fällt. Im Normalfall reicht dafür ein Wasserfarbkasten. Sämtliche Farben auf ein Blatt Papier geklatscht, und schon hat sich auf dem blanken Weiß ein großer, grauer Fleck gebildet, in dem weder Grün, noch Rot zu erkennen sind. Keine Superfarbe, die über allem trumpft, sondern nur diese resignierende Negation von allem Bunten. Maeckes scheint dieses Experiment auch schon hinter sich gebracht zu haben, denn "Kids" ist nicht bloß ein HipHop-Album, es ist ein angeknackstes Stückchen Welt, in dem farbige Hoffnung nur rar aufleuchten kann. Straßen, Himmel, Häuser: alles grau, alles längst erwachsen, aufgeklärt, fälschlich verklärt. Dabei ist klar, dass die Kindheit dort kaum noch Platz findet, da sie als verhasstes Ideal doch jegliche Rationalität unterläuft. "Wann hast Du das letzte Mal über Deine eigene Dummheit gelacht?"
Maeckes ist dabei kein Sprachrrohr, sondern ein Beobachter, der seinen Blick drauf hält und jede Romantik verneint. "Ein Herbstblatt auf dem Asphalt / Nee, eigentlich nur ein Stückchen Dönerfleisch diverse Tage alt." Keine Metaphernstaplerei, keine Sprachirrgärten. "Kids" ist vielleicht die Dystopie, die im Rücken all der opportunistischen Texte der aktuellen deutschsprachigen Musik schwellen musste. Denn gerade durch ihre simple Verständlichkeit fahren die Zeilen bis ins Mark. Kindheit ist längst nur noch ein Wort, das zurückerobert werden will. "Die Mama badet das Kind / Doch irgendwann badet das Kind die Mama." Verantwortung ist keine Tugend, sondern eine Last, die auf jeden drückt und doch nur Illusion ist.
Aber auch abseits einer textlichen Ebene, die sich nicht angestrengt an ihr Konzept klammert, sondern einfach fließt, sind die Beats perfekt abgestimmt. Kalt und druckvoll pulsiert es in "Kindisch wie Du". Fast zehn Sekunden geräuschvolle Stille schickt "Betrunkene Kinder" voraus, bevor es seine bitteren Zeilen ausspuckt. Der Rhythmus legt den Leerlauf in genau den richtigen Momenten ein. In seinem eigenen Erzähltempo findet Maeckes immer wieder genug Variationen, um "Kids" locker am Laufen zu halten. So passt dann auch der Auftritt von Saul Williams ins Bild, der im Spacegewaber von "U can do it" ohne Aufsicht rum springt. Der ganze Song brodelt vor Unruhe, reizt das aber nie anstrengend aus. Solche Elemente werden perfekt eingebunden, wie zum Beispiel auch der Katholische Kinderchor Kornwestheim, der in "Heimweg" melodisch geistert.
Es ist das passende Maß, mit dem Ideen und Schelmerei in die Spielgruppe gelassen werden. Denn dieses Album ist verbittert, enttäuscht, verspielt und kindisch, aber in seiner Naivität nie blind. Der Kopf wird auf dem Teppichboden liegen, und die Worte wie Legosteine drücken und schmerzen. In diesen Augenblicken wird klar, dass die Grenzen zwischen Dystopie und Wirklichkeit einfach verwischt werden können, dass die eigene Kindheit sich längst nur noch auf einem kleinen Fleck Erinnerungsinsel im Gedächtnis abspielen kann. Das ist zum Lachen und zum Weinen. Ein ungutes Gefühl, das so gut tut. Musik, die bewegt und lähmt. "Oder glaubst Du eine Welt ohne Musik ist nur weniger laut?" Da ist Farbe am Ende des Tunnels.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Würgegriff des Glücks
- Betrunkene Kinder
- U can do it ft. Saul Williams
- Das letzte Mal
Tracklist
- Grinsende Gleichgültigkeit
- Graustufenregenbogen
- Würgegriff des Glücks
- Seifenblasen platzen nie
- Kindisch wie Du
- Betrunkene Kinder
- Heimweg
- Von Logen herab
- 4 Uhr Nachts
- Ein Computer hat Schluckauf
- U can do it ft. Saul Williams
- Das letzte Mal
- Idioten
- Piratenlied ft. Mia
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