Dirtmusic - BKO

Glitterhouse / Indigo
VÖ: 06.04.2010
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Unter der Salzkruste

Im Westen nichts Neues. Das ist nicht nur rein Buch- und Filmtitel über den zermürbenden Stillstand an der deutschen Westfront im Ersten Weltkrieg. Es ist auch eine treffende Beschreibung für den Zustand des Blues. Grund genug für Chris Eckman, Hugo Race und Chris Brokaw, bei ihrer musikalischen Grundlagenforschung nach Süden zu reisen. Nicht in den Süden der Vereinigten Staaten natürlich, aber auch nicht in Races Heimat Australien. Die Reise ging nach Afrika. Aus dem besten aller Gründe: Von dort kamen die Menschen, die mit dieser Musik im Herzen die Sklaverei überlebten. Dort liegt die Wurzel des Blues.

Im Sommer 2008 lockte das "Festival au désert" Dirtmusic in die Sahara. Vom Flughafen Bamako, dessen internationales Kennzeichen BKO später ein Album betiteln sollte, ging es nach Essakane mitten in die malische Wüste. Sie waren nicht die ersten, die es dorthin zog. Eingeweihte preisen die Namen von Ali Farka Touré oder Toumani Diabaté, und kürzlich sorgte der Tuareg-Blues von Tinariwen für Aufhorchen. Dirtmusic teilten sich die Bühne mit Tamikrest. Auf deren meditative Klänge mit zyklischen Gitarren, schnarrendem Tamascheq und rustikalen Grooves konnten sich die drei Westler sofort einlassen. Die Jams dauerten bis in die Morgenstunden, die Freundschaften überdauerten.

Ein Jahr später produzierte Eckman Tamikrests Debütalbum. Die sandige Inspiration lockte wenig später auch Dirtmusic erneut nach Bamako. Erneut wuchs zusammen, was kaum zusammen gehört. Doch die befremdliche Mischung aus dunklen Folkrock und Tuareg-Klängen sperrt sich nur anfangs. Der Opener "Black gravity" deutet Geheimnisse und Fremdheit nur an, in einer klappernden Lagerfeuer-Version von Velvet Undergrounds "All tomorrow's parties" werden dieses bereits leibhaftig. Das schnarrende Kreiseln von "Ready for the sign" ist schon beinahe vertraut, und wenn Fadimata Walett Oumar zu Banjo und Djembe in den "Desert wind" singt, haben sich Sumpf und Kameldreck bereits im Staub vereinigt. Der vermeintliche Widerspruch der Kulturen löst sich in bluesigem Wohlgefallen auf.

Dirtmusic erleben auf "BKO" ein ähnliches Erweckungserlebnis wie Damon Albarn, den es 2002 für "Mali music" in die Wüste gezogen hatte, oder Ry Cooder, der im gleichen Jahr Touré mit "Talking Timbuktu" ein Denkmal setzte. Und das geht so: Vermeintlich träge Songs entwickeln hypnotische Qualität. Unnötiger Ballast wird vom Wüstenwind einfach weggeweht. Brokaws "Unknowable" klagt näselnd über die Klänge ausgehölter Flaschenkürbisse, Races' "Smokin' bowl" kreiselt um eine tremolierte Gitarrenfigur, und für "Niger sundown" verzichten die Musiker auf unnötige Worte. Das Balafon, ein rudimentäres Stabspiel, sorgt für melancholische Melodietupfer, und Issa Kones N'Goni-Laute grüßt seine westliche Verwandtschaft mit trippelnder Flinkheit. Das rüttelt leider niemanden auf, und bei aller Faszination lugt auch die Langeweile um die Zeltecke. Andererseits stand Revolution genauso wenig auf der Tagesordnung wie seichte Schunkelei. Es geht um Verbindung, um Freundschaft, um Seelenverwandtschaften in der Fremde. Deswegen heißt Eckmans letzter Gruß auch "Bring it home". Lass die Fremde Dir zur Heimat, aber die Heimat nie zur Fremde werden. Wo immer das auch sein mag.

(Oliver Ding)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Desert wind
  • Unknowable
  • Smokin' bowl
  • Niger sundown

Tracklist

  1. Black gravity
  2. All tomorrow's parties
  3. Ready for the sign
  4. Desert wind
  5. Lives we did not live
  6. Unknowable
  7. Smokin' bowl
  8. Collision
  9. Niger sundown
  10. Bring it home
Gesamtspielzeit: 49:29 min

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