The National - High violet
4AD / Beggars / IndigoVÖ: 07.05.2010
Schöner scheitern
Treffen sich zwei The-National-Alben. Sagt das jüngere: "Ich fühl mich so ungeliebt und missverstanden!" Sagt das ältere: "Warte ab, Deine Zeit wird kommen. Gut Ding will Weile haben. Ich weiß, wovon ich spreche." So war das mit den bisherigen vier Studioalben der Band aus Brooklyn. Insbesondere der fabelhafte Vorgänger "Boxer" musste 2007 Geduld aufbringen, bis sich nach und nach herumgesprochen hatte, dass im Schatten von Interpol und Konsorten mit den Jahren ein Pflänzchen gewachsen war, das seine volle Blütenpracht soeben entfaltet hatte. Zugegeben, in diesem Zusammenhang mit dem Wort "Farbe" zu hantieren, trifft es nicht so richtig. Allenfalls mit schwarz oder dunkelbraun. Auf jeden Fall sinnierte sich Sänger Matt Berninger ziemlich düster und melancholisch durch zwölf hervorragende, über allem schwebende Stücke. Die Latte für den Nachfolger liegt dementsprechend hoch. Nicht weniger als das Album des Jahres sollte es werden, wenn man den Vorabkritiken und den Foren glauben durfte.
Es ist nun ähnlich wie Coldplays "A rush of blood to the head" oder auch Radioheads "OK computer" ein Kurz-davor-Album geworden. Nicht, dass man The National mit einer der beiden Bands tatsächlich vergleichen könnte oder sollte. Doch "High violet" spielt eben auf einer ähnlichen Bedeutungsebene und wird ähnlich wie die genannten Platten veröffentlicht, kurz bevor die breite Öffentlichkeit vermutlich auf The National aufmerksam werden wird. Und das wird sie zwangsläufig werden bei einem Album, das erneut vollgepackt ist mit wunderschönen Songs, die aber zum Glück noch kantig genug geraten sind, um auf den ersten Blick als große Hits entlarvt zu werden. Die elf Songs von "High violet" sind ähnlich sehnsuchtsvoll und schwermütig wie auf "Boxer". Allerdings reichern The National die durchgehende Melancholie wieder mit etwas mehr Kratzbürstigkeit an.
Gleich der Opener "Terrible love" offenbart vom ersten Ton an eine beschwörerische Magie, eine hypnotisierende Aura, die bis "Vanderlyle crybaby geeks", dem gospelartigen Finale mit Justin Vernon, nicht mehr loslässt. Die Drums nehmen langsam Fahrt auf und explodieren furios in einem fast breakbeateskem Fegefeuer, das man The National nach dem eher gesetzten "Boxer" nicht mehr zugetraut hatte. Ein Opener, wie er besser nicht sein könnte. Dazu die kleinen Elektrospielereien und Streicher von "Little faith", das kurze, aber extrem markante Gitarrenzwischenspiel in "Afraid of everyone", ein Stück mit Sufjan Stevens, das sich erst nach und nach verabschieden möchte. Es sind diese vielen Kleinigkeiten in den einzelnen Songs, die "High violet" weit nach vorne katapultieren. Die aber auch Geduld und Aufmerksamkeit verlangen.
Eine besondere Schrecksekunde hält "Bloodbuzz Ohio" bereit. Diese Gänsehaut, die sich wohlig am ganzen Körper breit macht, wenn Berninger seinen brummelnden Bariton zum ersten Mal so richtig in die Waagschale wirft. Wie der ganze Song von der feinsinnigen Dramaturgie von "High violet" zeugt: Untermalt von einer traumhaften Klaviermelodie, einem leicht wavigen Unterbau und den grandios feinfühligen Drumparts von Bryan Devendorf schwingt er sich auf, die Welt zu erobern. Und wenn es tatsächlich einen Popgott gibt, dann muss "Bloodbuzz Ohio" den großen Durchbruch bedeuten. Dann aber wäre eine Coldplayisierung von The National wiederum vielleicht gar nicht wünschenswert, weswegen ein Scheitern in der Breite womöglich das Beste für diese außergewöhnliche Band ist. Auch wenn es ein Jammer wäre.
Zumal Drummer Devendorf eigentlich mehr Aufmerksamkeit verdient hätte. Es ist nämlich nicht nur Berningers markante Stimme und die perfekte Harmonie dieser Band, sondern auch er, der zum wiederholten Mal einem Album einen ganz eigenen Stempel aufdrückt. Er bestimmt wie schon auf "Boxer" Tempo und Anschmiegsamkeit von Songs wie "Sorrow" und "Little faith" nachhaltig und sorgt dafür, dass keines der Stücke der Beliebigkeit zum Opfer fällt. The National bewahren sich damit ihre Ecken und Kanten und unterstreichen ihre Einzigartigkeit. Man sollte die Band genießen, solange sie noch auf relativ kleinen Bühnen zu Hause ist. "High violet", das zweite, wenn nicht sogar dritte Meisterwerk in Folge, könnte dies rasch ändern.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Terrible love
- Afraid of everyone
- Bloodbuzz Ohio
- Vanderlyle crybaby geeks
Tracklist
- Terrible love
- Sorrow
- Anyone's ghost
- Little faith
- Afraid of everyone
- Bloodbuzz Ohio
- Lemonworld
- Runaway
- Conversation 16
- England
- Vanderlyle crybaby geeks
Im Forum kommentieren
Felix H
2021-03-06 22:31:04
Tolles Album, immer noch. Und dann hör ich "You Were A Kindness" und "Exile Vilify" und weiß: Es hätte noch mal besser sein können.
dogecoin
2019-06-11 19:32:32
"Bloodbuzz Ohio" klingt aber sehr nach "Daughters of the SoHo Riots"
seno
2016-08-17 07:53:56
Oh ja, der ist wirklich richtig gut. Hätten sie statt "Little Faith" mit aufs Album nehmen sollen.
Auch die alternative Version von "Terrible Love" ist um einiges besser als die ursprünglich veröffentlichte.
Demon Cleaner
2016-08-16 23:25:12
Ich muss diesen Thread noch mal für "You Were A Kindness" hochholen. Für mich besser als alle Songs auf dem regulären Album.
StaggerLee
2014-09-23 11:34:02
Hä?
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