
Paul Weller - Wake up the nation
Island / UniversalVÖ: 16.04.2010
Beim ersten Hahnenschrei
Es gibt sicherlich, wer wüsste es nicht, tagtäglich tausend gute Gründe, um liegenzubleiben. Warme Decken, dröge Jobs, Ebbe in der Kaffeedose, Katerstimmungen in allen denkbaren Farb- und Gemütsverläufen. Paul Weller steht nun bereits seit über 30 Jahren am Fußende der (Brit-)Popkultur. Hat die Decken aufgeschüttelt, die Fenster aufgerissen, ist mit Kochtopf und -löffel über den Flur marschiert. Hat scheinbar alles nichts genützt. Deshalb reicht es ihm nun aber mal wirklich. "Wake up the nation" titelt er zu seinem zehnten Soloalbum. Kein Ausrufezeichen zwar, und dennoch eine klare Aufforderung. "Ach komm, noch zehn Minuten. Nein? Na gut, dann müssen wir wohl."
Was auch immer Weller diesen aus der eigenen Vergangenheit grunzenden Agit-Pop-Albumtitel eingegeben hat: Ein echter Rückfall in Mod-Punkgefilde bleibt natürlich alles andere als erwartbar. Und geschieht auch nicht. Obwohl Bruce Foxton auf "Wake up the nation" zweimal den Bass bedienen darf. Obwohl die Anweisung von Produzent Simon Dine klar auf Angriff ging. Und obwohl Wellers Stimme hier ab und an durchaus eine leicht näselnde Rotzigkeit bewohnt, die etwa dem Titelstück einige Energie zuführt.
Dennoch spielt gleich darauf "No tears to cry" wieder Hochkultur as Hochkultur can. Weller croont groß und voluminös, sein Klavierspiel findet sich ebenso hervorragend zwischen Walker Brothers und Stevie Wonder zurecht wie das Gesamtarrangement, und das Instrumentarium gibt sich gerade einmal mit einer ganzen Philharmonie zufrieden. Für sich genommen ein wirklich herausragend guter Song, obwohl er leicht das Gesamtbild von "Wake up the nation" stört - ebenso wie "Pieces of dream", bei dem all der Wohlklang allerdings von einem Soul begleitet wird, der eher Trauergebete als Liebesschwüre spricht.
Die wirklich spannenden Momente finden sich jedoch anderswo. "She speaks" etwa ist ein mit Klavierkaskaden und Basssynkopen vertiefter Grunge-Prototyp, der sich dann doch lieber am blutroten Western-Sonnenuntergang das Herz verdunkelt. "Starving" nennt man so etwas wohl. "7&3 is the strikers name" zeigt Kevin Shields gleichzeitig vor, hinter, in und auf dem Gitarrenverstärker bei seiner Lieblingsbeschäftigung: die Röhren ordentlich röcheln, quietschen und brennen lassen. "Fast car / Slow traffic" spürt schließlich das euphosisierende Rütteln von The Jam nicht nur in Foxtons Bassläufen. Auch das Wegknicken des Songs in aus der Gitarre herausgekratzte Melancholie-Fetzen tut sein übriges hinzu. Das ständige Fadeout zum Songende konnte sich Weller hingegen immer schon sparen. So auch hier.
Doch auch die altbewährten Gesten des Weller-Kosmos gehen auf "Wake up the nation" immer wieder mehr als gut. Der Abschluss "Two fat ladies" ist ein beinahe als schizophren zu betitelnder Bastard zwischen Roots, Mod und Punk. Der Funk von "Aim high" fließt und rüttelt zugleich. Und ein Folk-Rock-Midtempo wie bei "Andromeda" und "Find the torch, burn the plans" bekommt sicherlich noch einige Jahrzehnte lang niemand derart spannend und doch hochkonzentriert melodiös hin wie Mr. Britpop. Nur das mit dem Fadeout - aber das hatten wir ja schon. Dann räkeln wir uns halt zu einem Fazit durch: "Wake up the nation" hat wirklich guten Drive und gönnt sich das Abseitige ebenso wie das Rock-Stampfen. Selbst wenn Wellers Wake-Up-Call vorrangig vor der eigenen Türe kehrt: Das gute alte "Weckt Eure Nachbarn" ist ja auch ein hervorragender Ansatz.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Fast car / Slow traffic
- Andromeda
- She speaks
- Find the torch, burn the plans
- 7&3 is the strikers name
- Pieces of dream
Tracklist
- Moonshine
- Wake up the nation
- No tears to cry
- Fast car / Slow traffic
- Andromeda
- In Amsterdam
- She speaks
- Find the torch, burn the plans
- Aim high
- Trees
- Grasp & still connect
- Whatever next
- 7&3 is the strikers name
- Up the dosage
- Pieces of dream
- Two fat ladies
Referenzen
Spotify
Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv
Threads im Forum
- Paul Weller - 66 (13 Beiträge / Letzter am 19.10.2024 - 13:30 Uhr)
- Paul Weller live (7 Beiträge / Letzter am 02.10.2023 - 18:15 Uhr)
- Paul Weller - Fat pop (Volume 1) (11 Beiträge / Letzter am 04.06.2021 - 16:40 Uhr)
- Paul Weller veröffentlicht neues Studioalbum „Fat Pop (Volume 1) (1 Beiträge / Letzter am 26.02.2021 - 09:04 Uhr)
- Paul Weller - On sunset (3 Beiträge / Letzter am 26.02.2021 - 07:48 Uhr)
- Paul Weller - True meanings (6 Beiträge / Letzter am 17.09.2018 - 20:38 Uhr)
- Paul Weller - A kind revolution (9 Beiträge / Letzter am 12.08.2017 - 23:23 Uhr)
- Paul Weller - Music from the film Jawbone (1 Beiträge / Letzter am 22.03.2017 - 21:58 Uhr)
- Paul Weller - Saturns pattern (4 Beiträge / Letzter am 26.05.2015 - 22:40 Uhr)
- Paul Weller - More modern classics (3 Beiträge / Letzter am 22.05.2014 - 18:31 Uhr)
- Paul Weller (22 Beiträge / Letzter am 22.04.2010 - 16:33 Uhr)
- Paul Weller - 22 dreams (15 Beiträge / Letzter am 14.10.2008 - 09:48 Uhr)
- Paul Weller - As is now (26 Beiträge / Letzter am 29.07.2007 - 22:30 Uhr)
- Paul Weller - Studio 150 (8 Beiträge / Letzter am 26.03.2005 - 08:17 Uhr)
- Paul Weller - Illumination (1 Beiträge / Letzter am 27.09.2002 - 23:24 Uhr)