Autechre - Oversteps

Warp / Rough Trade
VÖ: 19.03.2010
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Die Abstinenz des Wohlklangs

Laut einer sozialpsychologischen Theorie, der Aktivationstheorie, streben Menschen ein mittleres Aktivationsniveau an. Bei zu niedrigem Aktivationsniveau ensteht Langeweile, bei zu hohem Hektik. Das mittlere Niveau ist denn auch bei der Erledigung einer Aufgabe am Nützlichsten. Mit dieser Theorie lässt sich - auf Musik bezogen - ganz hübsch erklären, warum man beim Arbeiten, um Überforderung zu vermeiden, gern bereits bekannte Musik hört. Oder warum Bands gut ankommen, wenn sie bestehende Musikstile aufgreifen und sie um Neues erweitern. Oder warum Nickelback eine langweilige, überflüssige Band ist.

Autechre haben es sich schon immer zu ihrer Aufgabe gemacht, zwischen diesen beiden Polen zu oszillieren - ohne jemals in der Mitte Halt zu machen. Man braucht extrem starke Nerven, um überhaupt 71 Minuten dieser von Bröckelbeats, absichtlich übel transponierten Samples und Störgeräuschen durchsetzten Antimusik zu etragen. Das englische Duo spielt gezielt mit den Erwartungshaltungen der Zuhörer und dekonstruiert auf beeindruckende Weise sämtliche Strukturen, die für populäre Musik zentral sind.

Nachdem sie also Überflüssiges wie Melodien, Wohlklang, Narratives und Songstrukturen ad acta gelegt hatten, nahmen sich Sean Booth und Rob Brown die Songtitel vor. "Stepreo", "KrYlon", "O=0" oder auch "Pt2ph8" lesen sich wie Schaltpläne für eine Rube-Goldberg-Maschine. Während "Oversteps" noch relativ harmlos, ja geradezu hörbar beginnt, läuft man schnurstracks in das offene Messer von "Known(1)". Nachdem sich dessen Cembalo-Samples in die Gehirnrinde eingegraben haben, folgt eine kleine Verschnaufpause. Mit "Treale" legen Booth und Brown die nächste auditive Selbstkasteiung nach, und auch das Glockengeklöppel von "O=0" steht dem in nichts nach. Dazwischen finden sich feine, von Soundscapes getragene Electroexperimente und mit "KrYlon" gar eine Art Ballade.

Platten von Autechre zu hören ist eine Grenzerfahrung und ein tolles Erlebnis - nicht nur für Maschinenbauer und Masochisten. Während man sich noch die Frage stellt, ob das jetzt Avantgarde oder pseudointellektuelles Electrogewichse ist, oszilliert man auch schon zwischen Gefallen, Verzweiflung, Kopfschütteln und Staunen. Auch mitten in der Mitte ist Stillstand schließlich alles andere akzeptabel.

(Christoph Behrends)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Known(1)
  • KrYlon
  • Yuop

Tracklist

  1. Ress
  2. Ilanders
  3. Known(1)
  4. Pt2ph8
  5. Qplay
  6. Seeonsee
  7. Treale
  8. Osveix3
  9. O=0
  10. D-shoqub
  11. Stepreo
  12. Redfall
  13. KrYlon
  14. Yuop
Gesamtspielzeit: 71:16 min

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