
Headlights - Wildlife
Polyvinyl / CargoVÖ: 26.02.2010
Tote wecken
Der Tod ist eine atemberaubende Erfahrung. Sowieso für diejenigen, die er direkt betrifft, aber auch für alle, die mittelbar unter ihm und somit unter anhaltendem Trauerschmerz zu leiden haben. Aber wenigstens spornt das Ableben der Nächsten zuweilen auch zu künstlerischen Höchstleistungen an, wie Arcade Fires "Funeral" vor einiger Zeit als Paradebeispiel zeigte. Nun ist Headlights in den vergangenen Jahren zwar nicht die halbe Verwandtschaft weggestorben wie einst Win Butler und Régine Chassagne während der Aufnahmen zu ihrem Debüt. Trotzdem stand die Band mitten im Entstehungsprozess von "Wildlife" plötzlich mit ein paar lieben Menschen und einem Mitglied weniger da.
Gitarrist John Owen hat zwar nicht das Zeitliche gesegnet, sondern ist bloß ausgestiegen - doch trotzdem liegt ein diffuser Schleier von Verlust über dem dritten Headlights-Album. Nicht verlustig gegangen sind die übrigen vier aber immerhin der Fähigkeit, zauberhaft verträumte Indie-Pop-Songs mit einem Hauch von Shoegaze samt kuscheliger Einlagen zu schreiben. Die Stimmen von Erin Fein und Tristan Wraight ergänzen sich im zunächst nebulös dahertapsenden Opener "Telephones" auf nahezu entrückte Weise, bis ein verhallt ziseliertes Riff um die Ecke biegt und die broken social scene von Montreal auf einmal gar nicht mehr weit ist. "Secrets" kommt etwas schneller zur Sache und grinst gütig zu elektronischen Ausdünstungen vom Krautrockstampfen und taumelnden Pianolas.
Bei "Get going" landen Headlights schließlich in perlendem Gitarrenpop, der auch die düstersten Gemütswolken vorübergehend zur Seite schieben vermag und sich wenig später mit "I don't mind at all" fortsetzt. "Wildlife" hält vielleicht nicht das, was sein Titel verspricht, macht aber oft bedeutend besseres Wetter, als die Voraussetzungen ahnen lassen. Da darf gelegentlich auch eine Rhythmusmaschine entwurzelt durch die Gegend eiern, wenn es darum geht, einen "Love song for buddy" zu singen. Denn wer weiß, wo jener Kumpel abgeblieben ist und ob er überhaupt noch unter den Lebenden weilt. Und ist "Dead ends" tatsächlich nur eine metaphorische Umdeutung restriktiver Verkehrsführung oder doch ein liedgewordener Verweis auf den Sensenmann?
Gedanken, die man sich nach etwas mehr als der halben Spielzeit in aller Ruhe machen kann, da sich Headlights ab diesem Punkt etwas zu sehr auf eine Lieblichkeit im Sound verlegen, die dem dräuenden Sujet nicht immer ganz gerecht wird. Zumindest das sich mit Verzögerung ausbreitende "We're all animals" erweist sich dabei aber als entzückende Pop-Schönheit, auch wenn der Anfang den Verdacht nahelegt, die Band wolle damit um den Soundtrack zum nächsten Werbespot mit bunten Bällen mitpitchen. Her- und vor allem hinzureißen weiß dann aber doch eher die erste Hälfte dieses Albums. Headlights wird das sehr wahrscheinlich egal sein. Sie sind froh, das Leben zu haben. Und wenn einem hier nicht immer der Atem stockt, ist das vielleicht gar nicht einmal das Schlechteste. Siehe ganz oben.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Secrets
- Get going
- We're all animals
Tracklist
- Telephones
- Secrets
- You and eye
- Get going
- Love song for buddy
- I don't mind at all
- Dead ends
- Wisconsin beaches
- We're all animals
- Teenage wonder
- Slow down town
Referenzen
Spotify
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