
Massive Attack - Heligoland
Virgin / EMIVÖ: 05.02.2010
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Schnelligkeit ist kein notwendiger Bestandteil von Massive Attacks Universum. Es war von jeher vor allem die beseelte Entschleunigung, die die Faszination der Arbeit von Robert "3D" Del Naja und Grant "Daddy G" Marshall ausmachte. Nicht nur in ihren Grooveschlaufen und Synthwolken, sondern auch bei ihrer Veröffentlichungspolitik. Schon vom Großwerk "Mezzanine" zu "100th window" hatte es fünf Jahre gedauert, "Heligoland" erscheint nun beinahe exakt sieben Jahre nach seinem Vorgänger.
Die lange Wartezeit lag auch darin begründet, dass ein beinahe fertiges Album im Papierkorb landete, weil sich Massive Attack in einer Sackgasse wähnten. Bereits Bekanntes zu wiederholen wäre ihnen zu beliebig gewesen, und stehenbleiben dürfen höchstens die Beats. Das nach dem norddeutschen Archipel benannte "Heligoland" ist daher ein weiterer klanglicher Schritt. Dieser fällt allerdings erneut eher seitwärts aus, weil das hohe Niveau nach "Blue lines", "Protection" und "Mezzanine" schon mit dem Vorgänger nicht gesteigert werden konnte. Ein Befreiungsschlag wie das Portishead-Massaker "Third" ist "Heligoland" daher nicht. Es sollte dies aber auch gar nicht werden.
Nachdem 3D "100th window" im Alleingang schockgefrostet hatte, ist jetzt nicht nur Daddy G wieder an Bord, auch eine ganze Wagenladung an Freunden und Bekannten schaute vorbei. Trickys Ex-Muse Martina Topley-Bird verschönerte gleich zwei Songs, und auch Adrian Utley von den anderen Triphop-not-Triphop-Kollegen aus Bristol lärmte mit. Das Falsettvibrato von Langzeitkumpel Horace Andy schneidet durch den verhallten Druck von "Girl I love you" und die Vorabsingle "Splitting the atom", deren stoischer Post-Reggae für Irritationen der Wartenden sorgte. Für Elbows Guy Garvey choreographierten Massive Attack mit "Flat of the blade" ein sich im Schaltkreis drehendes Surren, Brummen und Blubbern, das Radiohead würdig wäre und nebenbei aus Garvey einen ehrenvollen Nachfolger des späten Scott Walker macht. Hope Sadoval verzaubert mit atemlosem Hauchen das wunderbare "Paradise circus", bei dem kurzfristig die Wärme Einzug in "Heligoland" hält, dann aber mit Streicherwolken wieder abhebt. Und Damon Albarn las zwischen den Proben für die Blur-Reunion ein paar Gitarrenspuren für "Saturday come slowly" auf, um eine Spiegeluniversums-Version der überdrehten Gorillaz erschaffen zu können.
Bei all diesen stimmlichen Anknüpfungspunkten müssen Massive Attack geradezu Abseitiges wagen. Um ausgelutschte 4/4-Weisheiten zu überwinden, streuen sie eckige Rhythmen, nervöse Breaks und jazzige Kanten über ihre Tracks. Da dreht sich für "Psyche" ein Bossanova im Kreis, und das faszinierende "Rush minute" wird unter Gitarrenschleifsteinen und Polyrhythmen zerrieben. Das vertraute Unwohlsein lauert auf "Heligoland" vor allem dann, wenn die Grooves wie hypnotisiert auf der Stelle treten. Dann verdunkeln die Tracks auch unter warmen Stimmen wie der von TV On The Radios Tunde Adebimpe, der gleich im Opener "Pray for rain" Monotonie streichelt, sanfte Steigerungen ungerührt an sich vorbeiziehen lässt und nach einem vermeintlichen Klimax einfach weiter macht, als wäre nichts gewesen.
Der sorgfältig ausgegrenzte Wohlklang darf demzufolge nur selten ins Rampenlicht. Oft schweben die weichen Melodien völlig losgelöst über aufreibenden Klanggebirgen und schroffen Harmonien. Die sanften Texturspielchen am Rande drohen zu verblassen, wenn der Zuhörer ihnen die nötige Aufmerksamkeit verweigert. Quecksilberne Gitarrenfäden, hallende Samples, spinnerte Elektronik und immer wieder kampfbetont nach vorne gemischte Rhythmik bestimmen das Bild. Die neurotische Komplexität der Musik muss erst einmal erarbeitet werden, aber sie ist die Mühe wert. Am Ende schließt "Atlas air" zu dickflüssiger Orgel, kristallinen Harmonien, vorderasiatischem Geklingel und blubbernden Acid-Lines den ganz großen Bogen. Natürlich ist "Heligoland" Stagnation auf hohem Niveau, und dennoch faszinieren Massive Attack immer aufs Neue. Wenn sie sich nur etwas häufiger bewegen würden.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Babel (feat. Martina Topley-Bird)
- Girl I love you (feat. Horace Andy)
- Flat of the blade (feat. Guy Garvey)
- Paradise circus (feat. Hope Sandoval)
- Rush minute
Tracklist
- Pray for rain (feat. Tunde Adebimpe)
- Babel (feat. Martina Topley-Bird)
- Splitting the atom (feat. Horace Andy)
- Girl I love you (feat. Horace Andy)
- Psyche (feat. Martina Topley-Bird)
- Flat of the blade (feat. Guy Garvey)
- Paradise circus (feat. Hope Sandoval)
- Rush minute
- Saturday come slow (feat. Damon Albarn)
- Atlas air
Im Forum kommentieren
Fiep
2020-06-17 16:57:10
Jep, wobei definitiv eher everyday robots. Ich liebe think tank, everyday robots hat gute momente,ist als ganzes aber sehr langweilig, und an dies erinnert mich der track.
The MACHINA of God
2020-06-17 16:10:00
Als Spätphase blur und frühphase gorillaz fan (und radiohead fan) finde ich den song primär langweilig.
Interessanterweise klingt der für mcih nach der MIschung aus "Think Tank" und "Everyday Robots".
Fiep
2020-06-17 15:53:55
Die 3 hintereinander ist definitiv eine sehr harmonische wahl.
Ob man sie mag oder nicht ist natürlich ein anderes thema.
Saturday erinnert mich garnicht an radiohead. Als Spätphase blur und frühphase gorillaz fan (und radiohead fan) finde ich den song primär langweilig.
Und ja, die bläser bei girl i love you sind was tolles.
The MACHINA of God
2020-06-17 15:00:59
Die Bläser in "Girl I love you" waren immer meine Lieblingsstelle des Albums. Von daher eher ein Favorit von mir.
Mr Oh so
2020-06-17 14:51:05
Ich persönlich bin kein großer Fan von Garvey, aber da sist nun wirklich Geschmackssache.
Fiep
...
Tiefpunkte sind wohl babel, girl i love you und saturday come slow, ...r.
Saturday ist mit seinem radioheadishen Feel ein Highlight für mich. Leider etwas zu kurz.
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