Botanica - Who you are
Rent A Dog / Al!veVÖ: 05.02.2010
Der Liebestöter
Mitarbeiter von Plattentests.de zeichnen sich in der Regel dadurch aus, dass sie sich nicht den offensichtlichsten Assoziationen hingeben. Doch beim inzwischen sechsten Botanica-Album sei folgender Kalauer dann doch gestattet: Paul Wallfischs Musik blüht zumeist im Verborgenen - zunächst bei Tod Ashleys Klezmer-Punks Firewater und seit 1999 auch in seiner eigenen Band. Womöglich wird sich das ändern, wenn der New Yorker ab Sommer 2010 die musikalische Leitung des Dortmunder Schauspielhauses übernimmt. Doch vorläufig jonglieren Botanica weiterhin zu sehr mit Punkrock, Swamp-Blues und Balkan-Pop, als dass Wallfischs vielköpfigem, in New York und Aachen stationiertem Ensemble mit gängigen Stilbezeichnungen und dem Zusatz "Alternative" beizukommen wäre.
Doch darf man dem 47-Jährigen und dem zentralen Thema dieses Albums Glauben schenken, ist das alles nicht halb so kompliziert. Denn ursprünglich sollte "Who you are" schlicht "Love" heißen. Aber so einfach wollte er es einem dann doch nicht machen. Auch wenn sich der balladeske Titelsong mit flirrenden Gitarren und sanft gefilterter Stimme anschleicht, kann der Mann nämlich nicht lange ruhig sitzen bleiben: "Witness" tanzt kurz darauf eine ausgelassene Veitstanz-Polka zu tief gestimmten Gitarrenläufen und hyperaktiver Orgel. Dazu knurrsäuselt Wallfisch leicht testosteronbeschwipst: "Sometimes we witness / He kills for love / Sometimes the sickness / Is too much for love." Und schon liegen Liebe und Hass nebeneinander im Bett wie zwei an der gleichen Krankheit leidende Seelenverwandte.
Wenig später sieht die Welt wieder ganz anders aus: "You might be the one" versprüht Hoffnung und vergleichsweise luftigen Pop-Appeal, zu dem Wallfisch und Bassistin Dana Schechter harmonisch duettieren. Gleich danach schleppt "Anhalter Bahnhof" zusammen mit Marlene Dietrich Kontrabass und gebürstete Drums durchs nächtliche Berlin und ist mit wund knödelnder Stimme und neben den Schuhen stehender Diva ganz, ganz unten. Auch beim sich unmerklich steigernden "Xmas" wühlen Bässe und zornige Gitarren gar nicht weihnachtlich, wogegen das folgende "Perfection" mit zickigen Backbeats und vollmundigem Refrain fast in eine schummerige Zappelbude passen würde. Und immer wieder beschwört Wallfisch seine Herzensangelegenheiten: "You gotta trade it all in for love." Man möchte ihm fast glauben.
Doch es war nur ein letztes Durchatmen, bevor in "Backlit" der Sensenmann vor der Tür steht: "Don't know what to do with the dead." Und da ist guter Rat teuer. Aus dem Telefonverzeichnis löschen? Sie lieben, auch wenn es dazu längst zu spät ist? Letzteres hat auf jeden Fall diese gekippt trauernde Hymne verdient, die sich ein ums andere Mal aufzurappeln versucht, doch immer wieder bei einem kollabierenden Refrain strandet, der Radioheads "Karma police" eine Schattierung dunkler rekapituliert. Und so ist "Who you are" hin- und hergerissen zwischen dichten Wurlitzer-Wolken und Punkrock-Wucht mit Streichern, Big Apple und Dreiländereck, Hochgefühl und Abgrund - und genießt es in vollen Zügen. Um es mit Wallfisch zu sagen: Liebe ist vielleicht nicht alles, was wir brauchen, aber das Beste, was wir haben. Der Rest ergibt sich. Vielen Dank für die Blumen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Witness
- Xmas
- Perfection
- Backlit
Tracklist
- Who you are
- Witness
- Cocktails on the moon
- You might be the one
- Anhalter Bahnhof
- Xmas
- Perfection
- Because you're gone
- For love
- Backlit
- Whispers and calls
- So far from childhood
Referenzen
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