Stereo Total - Musique automatique

Bungalow / Labels / Virgin
VÖ: 08.10.2001
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Systemupdate

Die Neunziger sind offensichtlich vorbei - eindeutigstes Indiz dafür ist neben der angeblich anrollenden Rezession eine Kursänderung bei Stereo Total. Zuvor schienen letztere vier Alben lang die Geheimformel für den verschmitztesten Charme diesseits des Zentralmassivs gefunden zu haben. Stereo Total und ihr Berliner Label Bungalow waren in gewissen Momenten bundesweit der heiße Scheiß schlechthin, mit Kleinstauflagen bei Kleinstlabels konnten mit etwas Verzögerung sogar neuralgisch hippe UK- und US-Nischen erobert werden. Françoise Cactus und Brezel Göring bewegten sich ausgesprochen elegant auf der dünnen Trennlinie zwischen Chanson und Schlager, jonglierten locker und unüberschaubar mit echter Leidenschaft und bissiger Ironie, Trash und Retro, deutscher Wertarbeit am Heimorgelarsenal und naiv-klischierter Romantik mit dickem französischem Akzent. Kurzum: Man hatte den Zeitgeist am Schlafittchen.

Klanglich bewegten sich Stereo Total dabei immer durch leicht abgewetzte Wohn- und unaufgeräumte Schlafzimmer. Neben dem exklusiven Humormischverhältnis war es immer auch die naiv-dreckige Produktion, die Stereo Total von anderen Projekten mit ähnlicher Gewichtung abhob. Doch die Zeiten ändern sich: Mit dem Anbruch des neuen Jahrtausends wurde lautstark das Ende der Ironie verkündet, und auch die Erfolgsformel aus Berlin und Paris schien plötzlich auch nicht mehr besonders zeitgemäß. Für die fünfte Auflage der Bestandesaufnahme des deutsch-französischen Clashs der Kulturenklischees reagierte man prompt: Cactus und Göring feuerten die bisherigen Mitmusiker, die feuchten Orgeln und die ironische Fröhlichkeit wurden zum ersten Mal von der würzigen Intimität in eine einigermaßen keimfreie Studioumgebung verschoben.

Dort heckten sie zusammen mit Cem Oral (Air Liquide) die neue Platte aus. Das Ergebnis klingt sauberer bis stellenweise messerscharf, der Humor bekam eine subtilere Note verpaßt. Mit gewetzten Samplern ging es der diffusen Schwammigkeit des Stereo-Total-Sounds an den Kragen, die Beats wurden aufpoliert und klingen zum ersten mal erwachsen, der Retro-Hebel wurde auf \"Achtziger\" gedreht. Es überrascht, wie gut es dem flotten Dreier Göring, Cactus und Oral gelungen ist, die guten Komponenten ins neue Jahrtausends-Töpfchen zu retten und die schlechten ohne falsche Nostalgie im Neunziger-Sumpf absaufen zu lassen. Der Charme blieb dabei nicht auf der Strecke, und musikalisch kann zum ersten Mal von so etwas wie eigenständigen, ausgewachsenen Konzepten gesprochen werden. Der typische Stereo-Total-Humor ist selbstverständlich nach wie vor so sehr Geschmacksfrage wie zuvor - trotzdem ist es schön zu sehen, wie eine weiteres Ikonenteam des vergangenen Jahrzehnts den Sprung in die Aktualität geschafft hat.

(Adrian Schulthess)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Liebe zu dritt
  • Für immer 16
  • Nationale 7

Tracklist

  1. Musique automatique
  2. Liebe zu dritt
  3. Ma radio
  4. Wir tanzen im 4-Eck
  5. Les chansons d'a
  6. Kleptomane
  7. Adieu Adieu
  8. Für immer 16
  9. Je suis une poupée
  10. Ich weiss nicht mehr genau
  11. Le diable
  12. Nationale 7
  13. Exakt neutral
  14. Ypsilon
  15. Hep onaltí'da
Gesamtspielzeit: 63:17 min

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