Adam Arcuragi - I am become joy
High Two / Rewika / Al!veVÖ: 15.01.2010
Ode an die Freunde
Wie nennt man einen Voyeur, der es ausschließlich darauf abgesehen hat, heimlich fremde Fußbekleidung zu beobachten? Schuh-Spanner. Und wie nennt man jemanden, der es erquicklich findet, anderen heimlich zuzuhören? Die harmlose Variante könnte man als "Nebentisch-Belauscher" bezeichnen. Wer allerdings Wanzen in fremde Wohnungen schmuggelt, am besten noch direkt ins Schlafzimmer, ist natürlich nichts anderes als ein verachtenswerter Perversling. Nur was sind wir dann? Wir sind da bloß reingerutscht. Wirklich. Aber man kann es einfach nicht verleugnen: "I am become joy", das zweite Album von Adam Arcuragi aus Philadelphia, ist ein akustischer Schlüsselloch-Blick sondergleichen.
Ein Dutzend Freunde macht in beinahe hippiesker Atmosphäre gemeinsame Sache - eine jugendfreie Orgie zwischen Americana, Country, Folk, Blues, Erleuchtung und Ekstase. Man hört sie kichern und quatschen und hat schon nach dem ersten Song das Gefühl, dass man entweder in Arcuragis Kleiderschrank sitzt oder unter seinem Bett liegt. Auf jeden Fall irgendwo ganz in der Nähe des Geschehens. Dabei passiert streng genommen gar nicht so viel: Es gibt unter den 11 Songs jedenfalls keinen, der mit einer überraschenden Wendung oder irgendwelchen speziellen Gimmicks aufwarten würde, vom Vibraphon in der Zeitlupenbetrachtung "Go with them" mal abgesehen. Diese Lieder könnte selbst der unbegabteste Gitarrenschüler spätestens nach der dritten Unterrichtsstunde fehlerfrei nachspielen. Würde aber trotzdem nie wie Arcuragi und seine Freunde klingen.
Denn es ist die besondere Chemie zwischen ihnen, die verblüffende Reaktionen auslöst - in den Ohren, im Herzen und in der Magengegend. Wen interessiert da noch, wie simpel der Versuchsaufbau ist? The Lupine Chorale Society heißt das Kollektiv befreundeter Musiker, die für die zweiwöchige Aufnahme-Session aus ganz Amerika anreisten und "I am become joy" ein sympathisches Cliquen-Feeling und eine durchaus spirituell anmutende Euphorie verleihen. Akustikgitarre, Pedal Steel und Bläser gravieren sorgfältig "Americana" in die Freundschaftsringe, der Chor klingt manchmal so, dass man ihm eigentlich ein "Gospel-" voranstellen müsste, und Arcuragi beweist Sinn für Humor: Bevor er mit "We steal people's medicine" loslegt, wird erst einmal zünftig gehustet.
Zu den Melodien kann man wahlweise schunkeln oder sich in den Armen liegen, sie sind herrlich lagerfeuerwarm, angenehm natürlich und ausgesprochen süffig. Mit "She comes to me" und "Math" haut Arcuragi gleich zu Beginn seine beiden Paradestücke raus - denkt man. Denn direkt danach kommt die beschwingte Singalong-Nummer "People and private music", mit Klavier und Banjo in den Nebenrollen, und ist genauso - dieses Klischeewort muss jetzt echt mal erlaubt sein: mitreißend. Das wunderbare "Almost always" beweist unter anderem Arcuragis Qualitäten als Storyteller, angeblich hat er sogar schon Theaterstücke geschrieben. Die Dramaturgie von "I am become joy" stimmt jedenfalls, und deswegen kommt zum Schluss natürlich auch noch ein Höhepunkt: "Bottom of the river", das ebenso rustikalste wie kraftvollste Lied eines Albums, dessen Songs man abschließend nur eines zurufen kann: 11 Freunde sollt Ihr sein!
Highlights & Tracklist
Highlights
- She comes to me
- Math
- Almost always
- Bottom of the river
Tracklist
- She comes to me
- Math
- People and private music
- Almost always
- Go with them
- We steal people's medicine
- The guns that bring the morning home
- Her festival song
- The Long Route 38
- Lunch in field four
- Bottom of the river
Referenzen