Nancy Elizabeth - Wrought iron
The Leaf / IndigoVÖ: 02.10.2009
Die Schneekönigin
Vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden stellte John Cage das Musikverständnis der Konzertbesucher im Jahr 1952 in Frage. Vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden, in denen in dem gleichnamigen Stück nichts zu hören war, außer den Umgebungsgeräuschen und dem Öffnen und Schließen des Klavierdeckels. Plötzlich waren die Zuhörer mit etwas sehr Ungewohntem konfrontiert: Mit Stille. Kaum vorstellbar, welche Auswirkungen Cages musikphilosophisches Experiment in der dauerberieselten Generation MTV mit ihrer nicht vorhandenen Aufmerksamkeitsspanne gehabt hätte. Zumindest Nancy Elizabeth dürfte jede Menge Verständnis für so eine Herangehensweise haben: Die ganz leisen Töne der Engländerin wirken auch auf ihrem zweiten Album, als wären sie mitten in die Stille hineingeschrieben worden.
Wo "Battle and victory" neben all seiner Zartheit vor allem durch den kühlen, nordischen Einschlag auffiel, ist "Wrought iron" in der Hauptsache besinnlich. Die einfachen Klavierfiguren, die dezente Perkussion, die glasklare Stimme - mit seiner schlichten Schönheit wirft das Album den Hörer fast um. Immer nur gerade so viele Töne wie nötig setzt Elizabeth behutsam an ihren Platz, sodass das einleitende Instrumentalstück "Cairns" mit leisen Choralgesängen den gedanklichen Ausblick auf verschneite Landschaften freigibt. "Bring on the hurricane" oder das mit Handclaps und rhythmischer Bassdrum sanft vorwärts wiegende "Lay low" schwellen zwar mit größerer Dynamik an und ab, werden jedoch nie wirklich laut oder fordernd, und auch "The act" verliert trotz der lose schlackernden PJ-Harvey-Gitarre nie die Contenance über seinen Eis-Blues. Die erste Single "Feet of courage" dagegen ist ein folkloristisches Mantra mit hypnotischer Perkussion und repetitivem Bass, über das Elizabeth intime Reflektionen ausbreitet und das durch seine besonnene Sanftmut ebenso fasziniert, wie die wunderschönen, stimmbasierten "Tow the line" und "Ruins".
Wer nur in Ruhe zuhört, kann mit dem Minimalismus von "Wrought iron" tief hinabtauchen zu den klingenden Eiszapfen, kann in "Winter, baby" dem Nachklang des Glockenspiels lauschen, den kühlen Bläsern in "Divining", dem zurückgenommenen Gitarrenpicking von "Canopy", und kann dabei die erstaunliche Kraft der Ruhe entdecken. In einem hektischen Trendstrudel wie dem Musikgeschäft tut diese Art der Langsamkeit und Besonnenheit um so mehr gut, weil sie nicht ständig passiert. Andere Künstler mögen ebenfalls ruhige Stücke spielen, doch erreichen sie selten die meditative Ruhe von Nancy Elizabeths Kompositionen, die immer den Eindruck machen, als seien ihr Puls und Herzschlag bereits für den Winterschlaf herabgeregelt. Die ungewöhnliche Ruhe - John Cage hätte es gefallen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Tow the line
- Feet of courage
- Lay low
Tracklist
- Cairns
- Bring on the hurricane
- Tow the line
- Feet of courage
- Divining
- Cat bells
- Canopy
- Lay low
- The act
- Ruins
- Winter, baby
Referenzen