The Flaming Lips - Embryonic

Warner
VÖ: 23.10.2009
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Im freien Knall

Irgendwie gelten die Flaming Lips ja als eine Band, die Zeit ihres Bestehens ausschließlich mindestens Vierfach-Alben veröffentlicht hat. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Es gibt sie schon so unendlich lange. Sie haben ihre Musik bereits mehrfach um sich selber gedreht und in verschiedene Zeitzonen und Genres gemorpht. Vor allem aber überstrahlten die Konzepte oft genug die Songs. Und wurden auf der Bühne livehaftig nochmals auseinandergenommen, in Konfetti-Fetzen zerrissen, durcheinander- und/oder vor die Füße des Publikums geworfen. Tatsächlich ist "Embryonic" aber das erste Doppelalbum der Flaming-Lips-Geschichte - beziehungsweise, da hierzulande nicht als solches veröffentlicht, immerhin ihr längstes. Als Erklärung hat Wayne Coyne wenig mehr anzubieten als die Behauptung, es sei ihnen einfach als eine gute Idee und Gelegenheit erschienen, die Zügel etwas schleifen zu lassen. (Nicht nur) wer's glaubt, wird schwindelig.

Denn vom ersten durchdringenden Gitarrenzirpen bis zum letzten durch schrilles Stimmengebrabbel staksenden Beat: "Embryonic" erspielt sich in der Tat ein wahres Martyrium an Freiräumen. Wird Karen O. als prominenter Gast auf "I can be a frog" und "Watching the planets" geladen, so kommt sie nicht ohne ekstatisches Tierstimmen-Gefiepe zwischen Urwaldsurren, Gremlins und R2D2 davon. Da zählt Schlagzeuger Kliph Scurlock zu "Scorpio sword" schon mal einen einzelnen Bassdrumschlag an und tümmelt sich in der Folge mit hemmungslos herausgejazzten Wirbeln durch einen Geröllhaufen aus Streicher- und Harfensamples, dick verbratzten Basstönen sowie wahlweise kreischenden oder klirrenden Feedbacks. Als hätten die Flaming Lips all ihr Instrumentarium in einen Öltank geworfen und würden nun mit Moonboots darauf herumhüpfen. Als Mehrwert flackern die gestrichenen und beharften Zeichen der Hochkultur wie ein gesplitterter Röhrenfernseher durch die Songruinen. Zerstörungswut ist das nicht. Eher schon galliger Kommentarismus und eine beständige Umkehr der Verhältnisse.

Doch so aufgeworfen "Embryonic" auch klingen mag - diese Platte hat ihre klaren Richtschnüre, ihren Willen, und sie hält die Treue. So orientieren sich die noch am ehesten zu festen Verbänden zusammengebauten Songs stets durch krachende, verschlurfte Beats, wahlweise in Western-, Psychedelic- oder Surf-Motiven geschärfte Gitarren und übersteuerte Bassläufe, die durch gespenstische Vibraphon-Kaskaden gegengetaktet werden. Coynes Stimme klingt dazu wie ein von einer längst vergangenen Zivilisation abgesprengter Todesbote, der als Funkwelle durch den Weltraum mäandert. Distanziert, erkaltet, doch auch aufgeladen mit großen, kulturartefaktischen Melodien, die beständig mit ihrer eigenen Geschichtlichkeit kämpfen und gegen die Gitterstäbe des Verschwindens hämmern.

Auch Harfe und Streicher verlassen die Platte nicht mehr, wenn sie erst einmal angeworfen sind. Schlingern als leitmotivische Trümmer durch die erwähnte Hüpfburg, das leise verlispelte Vocoder-Arrangement von "The impulse" und den krautig vorangeschubsten Dream-Pop-Edelstein "Silver trembling hands". Dabei markieren sie genau die Grenze, in der Harmonie in Melodie umzukippen beginnt. Mit Ausnahme von "Watching the planets", dessen Beat wieder kopfüber in einen Trip-Hop-Psychedelic-Stacheldraht springt, hätten etwa Tortoise das gesamte Schlussdrittel von "Embryonic" zu einem einzigen kreuz und quer zerdubbten Vibe zusammengefasst - und dabei die Songtitel einfach hintereinander weg geschrieben.

So passiert unendlich viel auf "Embryonic". Bedenkens- und Beachtenswertes. Schlaue Konstruktionen und kaputtdirigierte Konstrukte, jenseits von Spieltrieb und Vandalismus. Cluster- und Zitat-Pop ohne Eklektizismus, Dekonstruktion oder multi-referentielle Ausschweifungen. Ein Muskelspiel vor dem Zerrspiegel. Vielleicht sogar eine Sternenkarte, die Musik als Körper begreift und nicht vorrangig als Seele. In jedem Fall aber mag man sich kaum vorstellen, was passiert, wenn hierzu im Live-Spektakel auch noch die Konfetti-Maschine angeschmissen wird - zur, wenn nicht besten, so doch eindeutig spannendsten und forderndsten Platte der Flaming Lips seit geraumer Zeit.

(Tobias Hinrichs)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Highlights & Tracklist

Highlights

  • The sparrow looks up at the machine
  • See the leaves
  • Powerless
  • The ego's last stand
  • Worm mountain
  • Watching the planets

Tracklist

  1. Convinced of the hex
  2. The sparrow looks up at the machine
  3. Evil
  4. Aquarius sabotage
  5. See the leaves
  6. If
  7. Gemini syringes
  8. Your bats
  9. Powerless
  10. The ego's last stand
  11. I can be a frog
  12. Sagittarius silver announcement
  13. Worm mountain
  14. Scorpio sword
  15. The impulse
  16. Silver trembling hands
  17. Virgo self-esteem broadcast
  18. Watching the planets
Gesamtspielzeit: 70:30 min

Im Forum kommentieren

The MACHINA of God

2020-11-05 12:56:01

Haha, geil. Davon hab ich echt noch nie was gehört. Allein der Titel ist grandios!

Analog Kid

2020-11-05 12:53:10

Kurz vor oder nach The Terror kam ja auch noch ein interessantes Nebenprojekt bestehend aus Coyne, Drozd, und noch einem Typen, "Electric Würms" mit einem etwas kurzen, aber hübschen Prog- Psychedelic-Album mit dem schönen Titel: "Muzik die schwer zu Twerk" :)
Hab die lange nicht gehört, aber da ist ein echt passables Cover von "Heart of the Sunrise" von Yes drauf. Muss ich mir mal wieder geben.

The MACHINA of God

2020-11-05 12:48:05

Ja, "The Terror" höre ich auch selten, weil zu düster. Trotzdem toll natürlich. Die regulären Alben sidn eh immer toll, nur zwischendrin gibt es immer mal zu eigenartiges Zeug.

Der Wanderjunge Fridolin

2020-11-05 12:36:53

Ui, das klingt ja immer besser :D

Analog Kid

2020-11-05 12:36:07

Find die Terror auch super, aber die ist so krass dystopisch, ich kann mir das echt nicht oft geben. Das geht stimmungsmässig zum Teil so dermaßen in den Depressionskeller und in die Isolationszelle, kenne echt kaum ein anderes Album, dass in der Richtung so intensiv ist, vielleicht teilweise die Fragile von NIN.

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Spotify

Threads im Forum