
The Flaming Lips - Embryonic
WarnerVÖ: 23.10.2009
Im freien Knall
Irgendwie gelten die Flaming Lips ja als eine Band, die Zeit ihres Bestehens ausschließlich mindestens Vierfach-Alben veröffentlicht hat. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Es gibt sie schon so unendlich lange. Sie haben ihre Musik bereits mehrfach um sich selber gedreht und in verschiedene Zeitzonen und Genres gemorpht. Vor allem aber überstrahlten die Konzepte oft genug die Songs. Und wurden auf der Bühne livehaftig nochmals auseinandergenommen, in Konfetti-Fetzen zerrissen, durcheinander- und/oder vor die Füße des Publikums geworfen. Tatsächlich ist "Embryonic" aber das erste Doppelalbum der Flaming-Lips-Geschichte - beziehungsweise, da hierzulande nicht als solches veröffentlicht, immerhin ihr längstes. Als Erklärung hat Wayne Coyne wenig mehr anzubieten als die Behauptung, es sei ihnen einfach als eine gute Idee und Gelegenheit erschienen, die Zügel etwas schleifen zu lassen. (Nicht nur) wer's glaubt, wird schwindelig.
Denn vom ersten durchdringenden Gitarrenzirpen bis zum letzten durch schrilles Stimmengebrabbel staksenden Beat: "Embryonic" erspielt sich in der Tat ein wahres Martyrium an Freiräumen. Wird Karen O. als prominenter Gast auf "I can be a frog" und "Watching the planets" geladen, so kommt sie nicht ohne ekstatisches Tierstimmen-Gefiepe zwischen Urwaldsurren, Gremlins und R2D2 davon. Da zählt Schlagzeuger Kliph Scurlock zu "Scorpio sword" schon mal einen einzelnen Bassdrumschlag an und tümmelt sich in der Folge mit hemmungslos herausgejazzten Wirbeln durch einen Geröllhaufen aus Streicher- und Harfensamples, dick verbratzten Basstönen sowie wahlweise kreischenden oder klirrenden Feedbacks. Als hätten die Flaming Lips all ihr Instrumentarium in einen Öltank geworfen und würden nun mit Moonboots darauf herumhüpfen. Als Mehrwert flackern die gestrichenen und beharften Zeichen der Hochkultur wie ein gesplitterter Röhrenfernseher durch die Songruinen. Zerstörungswut ist das nicht. Eher schon galliger Kommentarismus und eine beständige Umkehr der Verhältnisse.
Doch so aufgeworfen "Embryonic" auch klingen mag - diese Platte hat ihre klaren Richtschnüre, ihren Willen, und sie hält die Treue. So orientieren sich die noch am ehesten zu festen Verbänden zusammengebauten Songs stets durch krachende, verschlurfte Beats, wahlweise in Western-, Psychedelic- oder Surf-Motiven geschärfte Gitarren und übersteuerte Bassläufe, die durch gespenstische Vibraphon-Kaskaden gegengetaktet werden. Coynes Stimme klingt dazu wie ein von einer längst vergangenen Zivilisation abgesprengter Todesbote, der als Funkwelle durch den Weltraum mäandert. Distanziert, erkaltet, doch auch aufgeladen mit großen, kulturartefaktischen Melodien, die beständig mit ihrer eigenen Geschichtlichkeit kämpfen und gegen die Gitterstäbe des Verschwindens hämmern.
Auch Harfe und Streicher verlassen die Platte nicht mehr, wenn sie erst einmal angeworfen sind. Schlingern als leitmotivische Trümmer durch die erwähnte Hüpfburg, das leise verlispelte Vocoder-Arrangement von "The impulse" und den krautig vorangeschubsten Dream-Pop-Edelstein "Silver trembling hands". Dabei markieren sie genau die Grenze, in der Harmonie in Melodie umzukippen beginnt. Mit Ausnahme von "Watching the planets", dessen Beat wieder kopfüber in einen Trip-Hop-Psychedelic-Stacheldraht springt, hätten etwa Tortoise das gesamte Schlussdrittel von "Embryonic" zu einem einzigen kreuz und quer zerdubbten Vibe zusammengefasst - und dabei die Songtitel einfach hintereinander weg geschrieben.
So passiert unendlich viel auf "Embryonic". Bedenkens- und Beachtenswertes. Schlaue Konstruktionen und kaputtdirigierte Konstrukte, jenseits von Spieltrieb und Vandalismus. Cluster- und Zitat-Pop ohne Eklektizismus, Dekonstruktion oder multi-referentielle Ausschweifungen. Ein Muskelspiel vor dem Zerrspiegel. Vielleicht sogar eine Sternenkarte, die Musik als Körper begreift und nicht vorrangig als Seele. In jedem Fall aber mag man sich kaum vorstellen, was passiert, wenn hierzu im Live-Spektakel auch noch die Konfetti-Maschine angeschmissen wird - zur, wenn nicht besten, so doch eindeutig spannendsten und forderndsten Platte der Flaming Lips seit geraumer Zeit.
Highlights & Tracklist
Highlights
- The sparrow looks up at the machine
- See the leaves
- Powerless
- The ego's last stand
- Worm mountain
- Watching the planets
Tracklist
- Convinced of the hex
- The sparrow looks up at the machine
- Evil
- Aquarius sabotage
- See the leaves
- If
- Gemini syringes
- Your bats
- Powerless
- The ego's last stand
- I can be a frog
- Sagittarius silver announcement
- Worm mountain
- Scorpio sword
- The impulse
- Silver trembling hands
- Virgo self-esteem broadcast
- Watching the planets
Im Forum kommentieren
The MACHINA of God
2024-04-24 16:30:19
Es war halt die erste Platte, die rauskam, als ich schon richtiger Fan war. Vorher nur Sympathisant dank "Soft bulletin" und "Yoshimi", die ich als Alben an sich auch höher bewerten würde. Aber ich mag den komplett zerschossenen Charakter des Albums hier.
Herr
2024-04-24 16:25:40
Bei mir war es eher umgekehrt: nach dem famosen Dreier (Soft Bulletin, Yoshimi, War with the Mystics) gingen sie mir bei Embryonic wegen zu hoher Sperrigkeit verloren. Das war die damalige Sicht.
Insofern vielen Dank für diesen Impuls, welcher zum Rekapitulieren einlädt! Sehr schön, wird demnächst meine Autofahrt audiophil begleiten.
The MACHINA of God
2024-04-24 16:17:37
Nach 4 Jahren mal wieder gehört (natürlich in der Sonne). Ein wunderbares Kaleidoskop. Und ich kannte bisher gar nicht die Extra-Tracks, die auf einmal mit dranhängen auf den Streamingdiensten. Auch ein paar schöne Stücke. Krass, dass das Album dieses Jahr 15 Jahre alt wird. Mein erstes bewusstes Lips-Release und dann 2010 das erste und beste Konzert.
The MACHINA of God
2020-11-05 12:56:01
Haha, geil. Davon hab ich echt noch nie was gehört. Allein der Titel ist grandios!
Analog Kid
2020-11-05 12:53:10
Kurz vor oder nach The Terror kam ja auch noch ein interessantes Nebenprojekt bestehend aus Coyne, Drozd, und noch einem Typen, "Electric Würms" mit einem etwas kurzen, aber hübschen Prog- Psychedelic-Album mit dem schönen Titel: "Muzik die schwer zu Twerk" :)
Hab die lange nicht gehört, aber da ist ein echt passables Cover von "Heart of the Sunrise" von Yes drauf. Muss ich mir mal wieder geben.
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