The Mountain Goats - The life of the world to come
4AD / Beggars / IndigoVÖ: 09.10.2009
Der Da-Vinci-Code
In nicht einmal zwei Jahren vom Heiden zum Prediger: Knapp zwanzig Monate nach "Heretic pride" lässt sich John Darnielle für das neue Album von The Mountain Goats von der Bibel inspirieren. Alle zwölf Songs beziehen sich auf Bibelverse, und so bekommen die Hörer formschöne Titel wie "1 Samuel 15:23" oder "Phillipians 3:20-21". Man muss nicht den Religionsunterricht durchschlafen haben, um keinen Plan davon zu haben, dass das erste Buch Samuel an dieser Stelle Ungehorsam und Widerstreben verdammt. Theologiestudenten hingegen wissen, dass der Apostel Paulus im Philipperbrief vom Himmel spricht, in dem der nichtige Leib dem göttlichen gleich wird. Das ist der ganz harte Christen-Stoff.
Aber auch Häretiker dürfen weiterlesen, denn zum Glück predigt Darnielle nicht. In seiner fortgeführten Auseinandersetzung mit christlichen Themen lässt er sich nicht instrumentalisieren. Mit evangelikalem Fundamentalismus hat "The life of the world to come" deshalb nichts zu schaffen. Nur in "Psalms 40:2" steckt ein wörtliches Bibelzitat, und dass die japanischen Shintoisten mit "Enoch 18:14" und "Proverbs 6:27" zwei Bibelverse mehr präsentiert bekommen, ist kein Missionierungsversuch. Die Heilige Schrift ist hier vor allem Bonus auf der Metaebene. So gibt "Genesis 3:23" einen herrlichen Folkrocker samt Orgel und Schmachtrefrain, bei dem es um einen Einbruch in Darnielles frühere eigene Wohnung geht. Die Bibelvers-Fußnote spendiert noch einen Verweis auf die Vertreibung aus dem Paradies.
Darnielle verwendet die Bibel als Basis für reflektierte, charmante Betrachtungen der menschlichen Existenz. Seine Geschichten schauen sich das Leben nicht bloß ab, sondern holen es gleich direkt in die Texte. Das ist oft persönlich, bietet aber stets Erfahrungen an, die man teilen kann. "Genesis 30:3" ist schüchterne Zuneigung: "Sounds kind of dumb when I say it, but it's true / I would do anything for you." "Romans 10:9" entstand mit heftigen Kopfschmerzen, und Darnielle hofft ganz behutsam auf göttlichen Beistand gegen den Kater. "Matthew 25:21" hingegen verhandelt die Hilflosigkeit, die der nahende Tod eines geliebten Menschen jedem ganz persönlich bewusst macht.
Musikalisch verschieben The Mountain Goats den Fokus behutsam in Richtung Klavier und Midtempo, doch auch andere Tugenden des Dreiers kommen nicht zu kurz. So erklingt "The life of the world to come" in einem Fluss: "Psalms 40:2" schrammelrockt, während sich Darnielles Stimme überschlägt. In "Deuteronomy 2:10" schleicht ein Piano sanft um die Freiheitsphantasien eines Häftlings. Owen "Final Fantasy" Pallett dekorierte als Gastarrangeur Songs wie "1 John 4:16" mit schicken Streichertupfern. Und das abschließende "Ezekiel 7 and the permanent efficacy of grace" folgt zu traurigem Klavier den Spuren eines Verbrechens: "I had his arms tied up behind him / We were together all day." Am Ende verstummt der Herzschlag. Der Weg zur Erlösung wird nicht vorgegeben. Es ist die ganz persönliche Wahl, die jeder treffen kann. Nicht für Gott und Vaterland. Sondern ganz für sich.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Genesis 3:23
- Genesis 30:3
- Matthew 25:21
- Ezekiel 7 and the permanent efficacy of grace
Tracklist
- 1 Samuel 15:23
- Psalms 40:2
- Genesis 3:23
- Philippians 3:20-21
- Hebrews 11:40
- Genesis 30:3
- Romans 10:9
- 1 John 4:16
- Matthew 25:21
- Deuteronomy 2:10
- Isaiah 45:23
- Ezekiel 7 and the permanent efficacy of grace
Im Forum kommentieren
Spice
2010-01-12 22:03:27
Zwei Songs bei Pitchfork:
http://pitchfork.com/tv/#/episode/2095-the-mountain-goats/1
Pascal
2010-01-12 13:06:02
Jep, allerdings ist auch die LP-Version nicht gerade üppig ausgefallen, was das Zusatzmaterial angeht. Aber eine aufklappbare Doppel-Vinyl macht ja auch schon genug her, wir wollen mal nicht meckern;)
Spice
2010-01-12 12:13:30
Es ist richtig, dass die CD-Version kein Booklet besitzt?
Heulender Vogel
2009-12-10 06:47:33
TLOTWTC ist ganz gut, aber
ich mag den Herrn halt gern spröde und reduziert.
All Hail & Zopilote Machine > all
Hubble
2009-12-09 19:52:11
Ein wunderbares Album ist das geworden. Zu Anfang fand ich's größtenteils recht unscheinbar. Mit der Zeit wachsen einem aber die Songs und Geschichten, die Darnielle erzählt, ziemlich ans Herz. Hätte von mir noch 1-2 Punkte mehr gegeben.
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