Editors - In this light and on this evening

Kitchenware / PIAS / Rough Trade
VÖ: 09.10.2009
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Die Traumafabrik

Wie damals beim ersten Sprung vom Dreimeterbrett. Zitternd steht man am Rand, blickt in die erwartungsvollen Gesichter der gebannten Eltern, prüft den Luftdruck der Schwimmflügel und macht das, was niemand erwartet: dreht sich um, klettert die Treppen wieder hinunter und ruft "Ihr könnt mich mal!" Genau so ist es heute, beim dritten Album der Editors. Hat sich was mit springen, Erwartungshaltungen erfüllen, die Menschheit beglücken. Stattdessen übt sich die Band in Verweigerung und künstlerischer Freiheit. Keine Hymnen, kein Coldplay-Effekt. Die Briten machen sich auf zu neuen Ufern.

Die Ausgangssituation ist eine vielversprechende: Mark Ellis, besser bekannt als Flood, nahm sich des Produzentenpostens an. Und der Sound von "In this light and on this evening" lässt sich anhand von dessen Arbeitszeugnissen dann auch ziemlich genau skizzieren. Depeche Mode hört man hier raus, New Order ebenso. Das ist der rote Faden, der dieses große Album umspannt. Über allem schwebt ein dichter Achtziger-Elektro-Nebel, synthetische Sounds bauen sich auf, die Gitarren spielen nur noch Nebenrollen. Einen Offbeat nimmt man nirgends wahr, klare und simple rhythmische Strukturen nur selten. Und ahnt bereits nach kurzer Zeit, dass diese neun neuen Songs nicht binnen weniger Durchläufe erschlossen werden können.

"Papillon" leistete als Vorbote ausgezeichnete Dienste. Bedrückend, beinahe bedrohlich stampft der Beat daher, ein simples aber kaltes Keyboardmotiv unterstreicht die beklemmende Atmosphäre. Bevor man sich versieht, ist man wie die gleichnamige Romanfigur gefangen, irgendwo zwischen Joy Division und Erasure. "Well that’s quite enough for me dear / We’ll find our own way home somehow" singt Tom Smith, und man fühlt mit, isoliert von einer Welt, die einen nicht versteht. Das ist kein Selbstmitleid, sondern eine schutzlose Offenbarung.

Und hat man sich gerade noch aus dieser Starre gelöst, stürzt man weiter kopfüber in ein Album, das malträtiert, quält und zerreißt. Der Titeltrack, die betörende Liebeserklärung an London, bohrt sich tief ins Herz. Die Stimme ist kilometerweit, die Soundfläche gewaltig. Und schon fällt das ganze fragile Gebilde mit einem erschütternden Aufschrei ein. "The big exit", ein düsteres Monster von Song, ist dann ganz bei Joy Division: "They took what once was ours" fleht Smith und verpackt den Satz als Mantra. Man schreit sich die Seele aus dem Leib, rotzt den Satz an die Wand. Brüllt. Heult. Und bricht kraftlos zusammen.

Alles ist Maschine, alles ist Motor. Kalt und unnahbar, beinahe metaphysisch, wie ein Gemälde von Caspar David Friedrich. Unbedeutend und klein steht man da, während die Songs ihre große, undefinierbare Weite zeigen. Manchmal ist "In this light and on this evening" gar kaum zu ertragen. Etwa dann, wenn "Walk the fleet road" in die Ferne gleitet, Smith "Hold your tongue" fleht und ein zarter Choral das Stück zu Grabe trägt. Es ist das unumgängliche Finale, das leise Ende. Und die große Stille nach dem weißen Rauschen. Ein Ungeheuer.

(Christian Preußer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • In this light and on this evening
  • Papillon
  • You don't know love
  • The big exit

Tracklist

  1. In this light and on this evening
  2. Bricks and mortar
  3. Papillon
  4. You don't know love
  5. The big exit
  6. The boxer
  7. Like treasure
  8. Eat raw meat = blood drool
  9. Walk the fleet road
Gesamtspielzeit: 43:40 min

Im Forum kommentieren

Yersinia

2023-05-04 01:07:40

'Like Treasure' und 'Bricks and Mortar' laufen derzeit rauf und runter.

So geniale Gesangsmelodien. Bestes Editors Album. Absolut genial.

Dazu auch dieses unglaubliche Live Video:

https://www.youtube.com/watch?v=wS46_h2_81c

Gomes21

2021-03-30 16:03:38

Da kann ich nur zustimmen. Mich können die auf Platte schon seit einigen Jahren nicht mehr begeistern, aber ich bin noch einige Male live hin und war nie enttäuscht. Im Gegenteil.

Croefield

2021-03-30 15:27:48

Allerdings sind die EDITORS sehr fein live, jederzeit gerne..

Ja, ich habe sie leider bsiher nur auf Festivals gesehen und da war das Publikum dann meistens nicht so interessiert. Da ist es schade, wenn man der einzige ist, der sich auf den Break bei "Smokers..." freut. :D

NeoMath

2021-03-30 12:09:04

"Allerdings sind die EDITORS sehr fein live, jederzeit gerne.. "

Auf jeden Fall !
Dabei finde ich auch erstaunlich, dass die neueren Sachen, die ich auf Konserve kaum hören mag, live um so vieles besser rüberkommen.

AliBlaBla

2021-03-30 11:51:30

@Croefield

Nix gegen Synthies..aber auch ich finde die ersten beiden Alben so viel besser, als alles, was danach kam, hab zwar die anderen,höre aber nur die beiden ersten richtig gerne.
Allerdings sind die EDITORS sehr fein live, jederzeit gerne..

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