Juli Zeh und Slut - Corpus Delicti
Strange Ways / IndigoVÖ: 18.09.2009
Recht auf Krankheit
Slut haben keine Berührungsängste. Als die Band 2006 Brechts "Dreigroschenoper" interpretierte, war der Kulturbetrieb angetan: Die Verschmelzung von Rockmusik und Literatur war zwar nicht neu, aber immerhin ein mutiger Schritt. Slut hatten schließlich einen Ruf zu verlieren. Wie viele hatten sich an Brecht schon die Zähne ausgebissen, von Kurt Weill einmal ganz abgesehen? Das Experiment glückte. Nach einem unschönen Streit um die Rechte an den Songs blieb immerhin eine knackige EP übrig, die das berühmte Stück auf den Punkt spielte. Ziel erreicht: Die Theatersäle waren gefüllt, die Band im Feuilleton angekommen.
Gemeinsam mit Juli Zeh geht die literarische Reise des Quintetts weiter. Zeh, die große Chaotin, die Weltbilder wie ein Derwisch tanzen lässt, hat ihr Theaterstück "Corpus Delicti" in einen Roman umgewandelt, dem jetzt die Hörbuchversion mit eingestreuten Songs von Slut folgt. Eine schöne Geschichte, abgesehen von Zehs Vision. Denn diese ist ziemlich beängstigend und schnell erzählt: Im Jahre 2057 geht es den Menschen gesundheitlich gut, weil der Staat zur Vorsorge zwingt, Rauchen strafbar ist und das Leben protokolliert wird. Ein Science-Fiction-Thriller in der Tradition der Negativutopien George Orwells.
Doch hier spielt die Musik. Und diese ist bei "Corpus Delicti" nur bedingte Nebensache. Slut lassen sich von Kapiteln inspirieren, manchmal auch nur von einem einzigen Satz, und gehen mit der Autorin auch auf gemeinsame Lese-Konzert-Reise. Die sieben Songs bewegen sich auf gewohnt hohem, stilsicherem Niveau. "Where's the army" etwa, dramaturgisch spannend, mit großer Hookline ausgestattet, zerbrechlich und dadurch anrührend. Das orgelige "600" ist da von einem anderen Kaliber: so lethargisch wie zäh. Was jedoch dem Text geschuldet ist und toll interpretiert wird.
Kein Song gleicht hier dem anderen: "Neurotitan" ist behutsam, verschwimmt mit Zehs Erzählung und wirkt durch seine Leichtigkeit geradezu bedrohlich. Das strahlende "Your names" schwingt sich zum großen Abschluss empor. Eine Symphonie, blühend und gewichtlos. Wie passend. Und wenn der Atem noch von der rasanten Erzählung stockt, sind Slut für die Ruhe nach dem Sturm zuständig. "Corpus Delicti" ist ein guter Roman, das Hörbuch spannend arrangiert. Slut und Zeh vermischen ihr Werk in einem stimmigen Erzählrhythmus - eine Kombination, die keine Grenzen kennt. Innerhalb der Geschichte ist alles erlaubt. Innerhalb des Hörbuchs auch. Gesundheit allerseits.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Where's the army
- Your names
Tracklist
- Ansage
- Where's the army
- Gesundheit
- Freilichtmuseum
- Wächterhäuser
- Urteil
- Moritz
- 600
- Liebe
- Tod
- Mörder
- Neurotitan
- Penthouse
- Kramer
- What does it all mean
- Ideal
- Methode
- Healthy life accident
- Leukämie
- Justizirrtum
- Pamphlet
- The great unwinding
- Außenseiter
- Folter
- Zelle
- Your names
- Verhandlung
- Einfrieren
- Tiesel
- Nacht
Referenzen