KIM? - Allez! Allez! Allez!
Columbia / SonyVÖ: 14.08.2009
Oft kopiert, nie erreicht
Es gibt nichts Schlimmeres, als ohnmächtig zusehen zu müssen, wie etwas Unheilvolles geschieht, das die eigene Zukunft bedrohen könnte. Jeder Fußballtrainer, der mit hochrotem Kopf an der Seitenlinie steht, während seine Truppe eine hundertprozentige Chance nach der anderen auslässt, wird das bestätigen. Eine ähnliche Erfahrung durchlebten vor wenigen Jahren die drei Musiker von KIM? beziehungsweise Kind Im Magen?, wie sie damals noch hießen, als von einem Tag auf den anderen ihre Plattenfirma hops ging. Doch echte Punkrocker lassen sich von so etwas nicht unterkriegen, und so nutzten KIM? das Ende von Gun Records zum persönlichen Aufstieg. Und der Major, bei dem "Allez! Allez! Allez!" jetzt erscheint, setzte gleich eine amtliche Werbemaschinerie in Gang, um die Scheibe zu promoten.
Trotz des nach französischer Revolution klingenden Titels rocken KIM? natürlich auch weiterhin in ihrer Muttersprache. Und wer bei der Kombination Punkrock und Deutsch als erstes an Die Toten Hosen denkt, wird sich hier bestens aufgehoben fühlen. Denn der Midtempo-Stadionpunk, den das Trio runterschreddert, ist zu keinem geringen Teil von den Altmeistern aus Düsseldorf inspiriert. Der Einfluss von Campino und seiner Gang geht jedoch über das Musikalische hinaus, denn auch KIM? singen mit einem ganzen Sack voll Pathos über Gefühle, Trotz und alles andere. Natürlich darf auch ein wenig Indie-mäßiges Web 2.0 nicht fehlen, um zu zeigen, dass man auf der Höhe der Zeit ist ("Und du glaubst, dass die Freude zurückkehrt / wenn du liebe Grüße bei MySpace verschickst.") Und schnell stellt sich heraus, dass genau dieses konzentrierte Bündeln aller Einflüsse, dieses gewollte Mitschwimmen auf vorhandenen Strömungen, das große Problem von "Allez! Allez! Allez!" ist.
Denn obwohl das Trio zweifellos mit jeder Menge Energie zu Werke geht, ist die persönliche Note in der Musik so gut wie nicht vorhanden. Es gibt auf "Allez! Allez! Allez!" nichts, was es nicht schon von den Toten Hosen, Madsen oder auf Englisch von den Foo Fighters gegeben hätte. Zudem brechen KIM? kein einziges Mal aus der Stadiontauglichkeit aus, so dass man sich nur verwundert fragen kann, welcher Spaßvogel die Idee mit dem Rancid-Verweis im Promozettel hatte. Denn wo Tim Armstrong und Co. für eine gewisse Abwechslung stehen, besteht die gesamte Varianz bei KIM? aus dem Wechsel zwischen lauten und leisen Parts. Auch auf Textebene dominieren die pseudophilosophischen oder jugendlich-trotzigen Phrasen. Nach wirklichem Tiefgang sucht man vergebens.
Statt dessen gibt es reaktionäre Parolen wie "Ich will tanzen, auf den Mauern, die ihr Freiheit nennt!" Oder philosophisch gemeinte Kalauer wie "Drei Parties am selben Abend, doch zu welcher soll ich gehen? / Die Qual ist nicht das Schlimme, die Wahl ist das Problem!" Und ab und zu auch den Versuch von Sozialkritik: "Wir sind Toxin / das Gift im Glas einer blinden Nation." Und so ist es letztendlich schade, dass KIM? nicht einmal versuchen, den Einfluss der übermächtigen Vorbilder in etwas Eigenes zu kanalisieren. Denn ein Händchen für Ohrwurmmelodien ist bei den Dreien zweifelsohne vorhanden, wie das Titelstück, "Anna", "Wolfsherz" oder das schunkelnde "1x1 besseres Leben" beweisen. Darauf hätten KIM? durchaus aufbauen können. Statt dessen kam das hier heraus: ein unspektakuläres Album mit ein paar netten Ansätzen und viel Musik, die andere schon aufregender hinbekommen haben. Zumindest ein wenig.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Allez!
- Wolfsherz
Tracklist
- Allez!
- Nein! Nein! Nein!
- Meine Antwort
- Anna
- Wolfsherz
- Die Hoffnung stirbt zuletzt
- Liebes Lied ...!
- Tanzen
- Scheissegal
- 1x1 besseres Leben
- Regen
- Dezibelmedizin
- Zusammen sind wir weniger allein
Referenzen