
Dinosaur Jr. - Farm
Jagjaguwar / PIAS / Rough TradeVÖ: 19.06.2009
The power
In den 80ern Dinosaur Jr. zu hören, war in etwa so cool wie Nudelsuppe. Grunge? War bekanntlich noch nicht erfunden. Hardcore? Bekam - stante pede und sich selbst überlebend - als zweiter Musikstil nach Punk gerade sein "Post-" spendiert. Und R.E.M.? Waren dieses Dingensda, zu dem noch der letzte Jeansjacken-Träger auf dem Schulhof den Puls der Zeit unter dem Schweißband tuckern hörte. Dinosaur Jr.? Waren heiß wie Nudelsuppe - denn sie hatten all das. Und man selbst hatte dazu noch ein weiteres unersetzliches Accessoire. J Mascis, Lou Barlow und Murph haben es gute 25 Jahre nach der Bandgründung für alle wiederentdeckt. Im Video zu "Over it" fröhnen sie dem Geländer- und Parkbankschleifen mit allerlei knochengefährdendem Gerät. Auf BMX und Skateboard sowie mit Stunt-Unterstützung und mehr als nur Bauchansatz gleiten sie durch einen ihrer typischen Mid-Tempo-Rocker. Breit verschmierte, von hinten mächtig anschiebende Akkorde, humpelndes, auf der Snare knochentrocken nachhallendes Schlagzeug, verschnupft desinteressierter Gesang, Kräuternebel aus dem Wah-Wah-Pedal - das ist wie geschaffen für 50-50 Grinds, Noseslides, Nollie- und/oder Kick-Flips to Fakie. Ja, das ist Expertendeppen-Schnack. Aber hey - es geht um Dinosaur Jr.
Und die gehörten zu den frühen Skate-Videos wie ansonsten nur das herausgesprungene Kniegelenk. Schließlich bot ihre Musik vor allem im Sound und dem verschleppten Rhythmus ausschließlich Platz für Punktlandungen. Lieferten sie damals den Soundtrack, so liefert der nach wie vor weltbeste Breitensport des Stadtindianer-Vandalismus heute die Bilder zu ihrer Musik. Ganz klar: Zeiten und Kräfteverhältnisse ändern sich - und bleiben doch die gleichen. Auch "Farm" schafft es, im Zeitreisenkosmos auf mehreren Ebenen aktiv zu sein. Es ist ein Album, das seine Vergangenheit durch eine unglaubliche Präsenz abfedert - und diese Präsenz zugleich durch seine Vergangenheit stützt. Wie es das schafft? Das Zauberwort heißt: Energie.
War es beim Comeback mit "Beyond" vor allem noch der Sound, der Kitzeln auslöste, so ist es Dinosaur Jr. nun gelungen, einen weiteren Impuls hinzuzufügen. Offenkundig wird dies sogleich an ihrem seit jeher prägnantestem Icon. Mascis spielt sich hier derart energisch durch seine Solo-Schleifen, als habe er seine Gitarre nach fünfzig Jahren endlich neben dem Rollbrett auf dem Dachboden wiedergefunden - und die aufgestaute Energie sogleich durch die Röhren geschickt. Auch hier ist die Vergangenheit allgegenwärtig, doch nur selten klang all das dermaßen euphorisiert und euphorisierend wie auf "Said the people" oder "I don't wanna go there". Insbesondere letzteres fegt auf über 8 Minuten wie mit Hochdruckreiniger und Sandgebläse zugleich durch die Hirnwindungen. Hinterher ist man kathartisch grundpoliert - aber auch innerlich wundgestrahlt und nassgeschwitzt.
Hinzu gesellen sich abgehangene, grundmelancholische und doch hitverdächtige Riffs wie bei "I want you to know", "Plans" oder "See you". Murphs mit zerbrochener Breitseite auffahrender Punch macht selbst solch reich verzierte Pop-Entwürfe zur Ganzkörpererfahrung. War auf "Beyond" bereits rein gar nichts an Zurückhaltung zu spüren, scheinen Dinosaur Jr. doch erst jetzt wieder eine Vertrauensbasis geschaffen zu haben, die (auch) Zugeständnisse wie diese ermöglicht. Mascis' Expressivität gehört hier ebenso dazu, wie die erneut zwei Lieder, die Barlow zu "Farm" beisteuern durfte. Sein Gesamtbeitrag zum Band-Output erhöht sich damit schlagartig auf unglaubliche sechs komplette Songs: Respekt. Bleibt es bei der Qualität von "Your weather" und "Imagination blind", dürfen gerne noch 66 mehr hinzukommen.
Zumal Barlow-Songs eben auch das wirklich neue Element der wiederauferstandenen Dinosaur Jr. sind. Nach wie vor spärlich gesät, stacheln sie dennoch die Band auf ganzer Albumlänge zu Höchstleistungen an, wie man auch an Mascis deutlich hören kann. Endlich hat er wieder etwas zu beweisen. Da ist schon mehr Noise zugegen, aber auch mehr hintergründige Melodie. Zugleich viel mehr Laid-back-Riffs, aber auch ein unfassbarer Druck und irgendwie mehr straighter Punk. Ob hier wirklich Sebadoh durchscheinen, ist hingegen gar nicht so einfach zu behaupten. Dafür konzentriert sich Barlow zu sehr auf diese Band und seine Aufgabe darin - und fordert Mascis doch spürbar heraus. Irgendwo tief drinnen wirbelt da immer noch der Kampf. Er verhilft Dinosaur Jr. zu einem mehr als späten Meisterwerk, das sich vor all den anderen mit keiner Sekunde versteckt. Hinterher ist vor allem das Seelendeck ordentlich abgewetzt. Be cool - grind to the bones.
Highlights & Tracklist
Highlights
- I want you to know
- Your weather
- See you
- I don't wanna go there
Tracklist
- Pieces
- I want you to know
- Ocean in the way
- Plans
- Your weather
- Over it
- Friends
- Said the people
- There's no here
- See you
- I don't wanna go there
- Imagination blind
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Sloppy-Ray Hasselhoff
2022-07-03 15:45:27
edit: ab 04:16.
Sloppy-Ray Hasselhoff
2022-07-03 15:43:32
Was Mascis da bei "I don´t wanna go there" im Donnergewitter zwischen Bass und Drums bringt, kann man sich schon mal anhören. Ziag o ...
fuzzmyass
2020-04-25 18:43:58
"Hört sich alles gleich an" find ich immer noch sehr amüsant :D alles mit Gitarre, Bass und Schlagzeug, ja..
The MACHINA of God
2020-04-24 20:57:15
Die Gitarren auf dem Album sind herrlich. Eh ein tolles Ding.
fuzzmyass
2020-04-21 15:36:08
ja, Dont Wanna Go There ist ein Killersong, wahnsinn....
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