Green Day - 21st century breakdown
Reprise / WarnerVÖ: 15.05.2009
Die Platte danach
Irgendwann Ende 2008 ging die Welt unter. Nach Wochen, Monaten, Jahren des Entsetzens, der Orientierungslosigeit und des Durcheinanders war es soweit: Der Bösewicht aller Bösewichte, das Feindbild aller Feindbilder dankte ab. Und neben jener Günther-Beckstein-Geschichte war da ja auch noch was mit diesem George W. Bush. Plötzlich hatte all das Böse in der Welt sein Gesicht verloren, das man vorher noch in DIN-A2-Format ausdrucken, an die Wand pinnen und mit wasserfesten Wachsmalstiften entstellen konnte. Plötzlich hatte all das Böse auch seinen Namen verloren, den man vorher so schön schreien, in den Schnee pinkeln und in Bahnhofsklos auf die Schüssel schmieren konnte. Es mussten folgen und es folgten auch: Entsetzen. Orientierungslosigkeit. Durcheinander. Fortan ließen kleine Jungs ihren Frust wieder an ihren kleineren Schwestern aus. Chefs an ihren Angestellten. Boulevardzeitungen an Grinsi-Klinsi. Tom an Jerry. Und Literaturkritiker am Fernsehprogramm. Die Krise.
Für Green Day eine Krise von existenzieller Natur. Was macht man eigentlich nach Bush als Anti-Bush-Band? Wenn einen in neuer Rolle als Volkes Gegenstimme nach Jahren als Musik-Lieferant zu Teenie-Klamotten, Crossing-All-Over-Samplern und Klassenfahrten zum ersten Mal auch Menschen jenseits der 30 wirklich für voll nehmen? Fußballtrainer, Lokalpolitiker und Schriftführer vom Kegelclub hätten in ähnlicher Lage längst die Köpfe hängen lassen, Asyl beantragt und ihr Restleben der Goldfischzucht gewidmet. Green Day sind mit Produzentenikone Butch Vig (Garbage, Smashing Pumpkins, Nirvana) ins Tonstudio gehüpft und haben nochmal eine Platte fertiggestellt. Bushs Amerika ist schließlich auch nach seinem Abtreten noch allgegenwärtig.
"21st century breakdown" heißt diese Platte, und auch Green Day müssen gewusst haben, dass sie mit ihrem Vorgänger "American idiot" eine schwere Bürde trägt. Mehr Theater als so eine Punkrock-Oper geht schließlich nicht. So versucht "21st century breakdown" "American idiot" vor allem in Sachen Quantität zu toppen. Mehr Spielzeit: Der Director's Cut von Wolfgang Petersens "Das Boot" ist gefühlt eine halbe Stunde kürzer. Mehr Songs: Auf dem Platz dieser Tracklist wurden schon Diplomarbeiten geschrieben. Mehr Wendungen: Im Vergleich dazu ist der Stadtkurs von Monaco die A8 München-Salzburg. Man beachte das Titelstück, das den Bogen von Hymne zu Punkrock und wieder zurück in fünf Minuten vollzieht. Wie sich "Before the lobotomy" von einer Powerballade in einen Stampfrocker in eine Powerballade verwandelt. Wie auf die Zigeunerfolklore in "Peacemaker" mit "Last of the American girls" eine Familienpackung Bubblegum-Pop der amerikanischsten aller Traditionen folgt: heiß und fettig.
In den insgesamt siebzehneinviertel Songs auf diesem Album geht es Green Day nicht gänzlich um formlosen Protest. Sondern auch um ein junges Pärchen, Christian und Gloria, Kinder und Erben einer Generation von Sixties-Menschen, deren Hippie-Revolution letztlich gescheitert ist. Und das sich im modernen Post-Bush-Amerika auf Sinnsuche begibt. Dass diese Protagonisten Green Day eine dankbare Rahmenhandlung und Projektionsfläche bieten, um ihre Kritik an Politik, Religion und (natürlich!) Bush unterzubringen, ist prima. Dass es schwer fällt, bei all den Perspektivwechseln und Sprüngen einen roten Faden auszumachen, war schon auf "American idiot" so. Es sollte niemandem den Spaß an den vielen kleinen Popmelodien, in die Green Day ihren harten Tobak verpacken, vergällen. Die sind süßlich, reichhaltig - und irgendwie auch verdammt gemein.
Das Markenzeichen dieser Band, die frechen Melodien der Stiff Little Fingers mit der Eleganz von Beatles-Kompositionen zu verbinden, ist ebenso zahlreich vertreten wie alles andere. Keine einzige Nummer ist auch nur ansatzweise irgendetwas anderes als eingängig, tanzbar, fürs Mitsummen überhaupt erst erfunden. Genau darin liegt auch der Witz der neuen Green Day. Abgesehen von Michael-Moore-Filmen geht nichts in der amerikanischen Protest-Kultur eine so feste Bindung mit der Mainstream-Unterhaltung ein. Auch die Hits von "21st century breakdown" werden wieder auf Gartenparties, Disco-Veranstaltungen und Jahresabschlussfeiern der Jungen Union aufgelegt werden. Mädchen werden zu Schmonzetten wie "Last night on Earth" ihren ersten Kuss bekommen, alle Singles zwischen dem Besten aus den 80ern, 90ern und von heute landen. Eine Platte voll von kleinen und großen Zeigefingern, die man nicht zuletzt überall dort zu hören bekommen wird, wo man Protest für eine Klamottenmarke, ein Xbox-Spiel oder eine Jugendsünde hält. (Über)längen hin oder her: Chuzpe!
Highlights & Tracklist
Highlights
- 21st century breakdown
- ¡Viva la Gloria!
- Peacemaker
- 21 guns
Tracklist
- Song of the century
- 21st century breakdown
- Know your enemy
- ¡Viva la Gloria!
- Before the lobotomy
- Christian's inferno
- Last night on Earth
- East Jesus nowhere
- Peacemaker
- Last of the American girls
- Murder city
- ¿Viva la Gloria? [Little girl]
- Restless heart syndrome
- Horseshoes and handgrenades
- The static age
- 21 guns
- American eulogy
- See the light
Im Forum kommentieren
Felix H
2021-01-24 19:18:18
Jop. Das war irgendwie so gezwungen noch größer, länger und konzeptioneller als "American Idiot" und wurde dabei stellenweise lächerlich. Ein paar gute Songs sind aber dabei.
Danach hat leider so gar nichts mehr funktioniert.
Affengitarre
2021-01-24 16:13:36
Ab hier gings zwar qualitativ schon ab (wenn auch nicht annäherend so schlimm wie bei dem, was noch folgen sollte), aber "Peacemaker" ist großartig und einer ihrer besten Songs überhaupt.
julian888
2013-02-14 20:01:20
9/10 Punkte
1.Know Your Enemy
2.East Jesus Nowhere
3.Horseshoes and Handgrenades
4.Restless Heart Syndrome
5.iViva La Gloria!
Bonanza
2012-01-30 15:00:44
Ein Blick auf Seite4 hätte genügt und der Thread hätte seinen wohlverdienten Frieden behalten.
dj ponti
2012-01-29 21:41:12
21 Guns ist note für note von Mott the Hopple´s All the Young Dudes angeschrieben.
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