Manic Street Preachers - Journal for plague lovers
Columbia / Sony BMGVÖ: 15.05.2009
Letzte Worte
Die Welt ist mit Sprichwörtern, Weisheiten und Zitaten übersät. Mal mehr, mal weniger passend kramt man sie zu den verschiedensten Anlässen hervor. Oftmals leicht dahergesagt in der Hoffnung, jemandem im richtigen Moment mit Rat und Wort zur Seite zu stehen. Oder einfach auch nur, um auf dicke Hose zu machen. Davon ist ein Spruch wie "Lebe jeden Tag, als ob er Dein letzter wäre" weit entfernt. Zugegeben, ein wenig kitschig und pathetisch ist das Ganze schon. Und doch steckt so viel Wahrheit drin. Eben die Besinnung auf das Wesentliche. Das dürften James Dean Bradfield, Nicky Wire und Sean Moore spätestens seit dem 1. Februar 1995 genauso sehen.
Gut vierzehn Jahre ist es mittlerweile her, dass der als psychisch und physisch hochgradig labil geltende Richey James Edwards zum letzten Mal gesehen wurde und ein Viertel Manic Street Preachers von der Bühne verschwand. Schon damals stand das verbliebene Trio vor der Frage: Aufhören oder nicht? Der kreative Kopf, das Aushängeschild der damals aufstrebenden Band war verschwunden. Und auch, wenn sie jetzt vermutlich nicht permanent nachdenklich durch die Welt gehen, weniger saufen und feiern, so war es doch ein Tag, der das Leben jedes einzelnen veränderte. The day the earth stood still. Doch weiter ging’s. Und wie. Cardiff, Havanna, Fidel Castro, "A design for life”, "Everything must go” und "This is my truth tell me yours” - um nur ein paar Meilensteine zu nennen. Oder um sprichwörtlich zu bleiben: Die gingen ab wie Schmidts Katze und weg wie warme Semmeln.
Richey Edwards selbst war irgendwie doch noch stets präsent. Und spätestens als Bradfield und Co. Ende 2008 nach erfolgreicher "Send away the tigers"-Tour erstmalig über Studioalbum Nummer neun Auskunft gaben, schien sich ein Kreis zu schließen. Sämtliche Songtexte auf "Journal for plague lovers" stammen aus der Feder des vermissten Viertels. Klingt gruselig? Oder nach Verschwörung? Nein, die Zeit schien einfach reif, um den alten Texten ein musikalisches Gewand zu geben. "It’s a record that celebrates the genius of his words, full of love, anger, intelligence and respect.” Selten war ein Band-Statement so passend. Zurück in die Zukunft? Back to the roots? Fakt ist, dass nicht nur Edwards Texte, sondern auch das wieder von Jenny Saville gestaltete Artwork an die guten alten "The holy bible"-Zeiten erinnern. Und auch musikalisch machen die Herren hier vor Reminiszenzen nicht Halt.
Flüsternd beginnt das eröffnende "Peeled apples", um kurz danach kratzig und doch klar, lärmend in der Strophe und harmonisch im Refrain einen mehr als ordentlichen, basslastigen Auftakt zu bilden. Fast alle Songs der vorliegenden knappen Dreiviertelstunde kommen mit jeweils gut drei Minuten bestens aus, was dem ganzen Machwerk nicht nur Abwechslung, sondern auch eine gewisse Dynamik verleiht. Songs wie "Jackie Collins existential question time” bilden eine perfekt arrangierte Mischung aus Pop und Rock, die obendrein so optimistisch und fröhlich wirkt, dass man die ansonsten fast durchgängige Melancholie kurzzeitig vergisst. Aber wer müsste angesichts von Fragen wie "Oh mummy, what's a Sex Pistol?" nicht schmunzelnd mitwippen? Es sind zum einen diese leicht ruppigen, nach vorne gehenden Momente, die einem auch beim neunten Album vor Ohren führen, warum die Manics das sind, was sie sind. "She bathed herself in a bath of bleach" zum Beispiel. Nicht nur dank Produzent Steve Albini kommen hier einige Nirvana-Vergleiche zu Tage. Bradfield krächzt und rockt. Und während das nach 80er Jahre klingende "Marlon J.D." erfrischend poppig daherkommt, "Virginia State Epileptic Colony" wie ein bezaubernder Mix aus Weezer und R.E.M. klingt, schicken die Waliser noch die ein oder andere, zum Teil akustische Ballade ins gefühlvolle Rennen.
Herzlich, wärmend und dazu ein wenig nach Liverpool klingend, präsentiert sich "This joke sport severed". Doch es geht auch noch reduzierter: "Facing page: Top left” schwankt zwischen romantischer Klampferei und schläfrigem Etwas, bevor Nicky Wire das Mikro ergreift und "William’s last words" die Sache auf den Punkt bringt. Das Wesentliche eben. Darauf kommt es an. Und ganz egal, ob sich der Kreis nun tatsächlich geschlossen hat und die damit verbundene, vielerorts diskutierte Auflösung der Band die mögliche Schlussforderung wäre oder dies erst der Anfang für einen nächsten Schritt war: Hört jedes Album, als ob es ihr letztes wäre.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Peeled apples
- Jackie Collins existential question time
- Marlon J.D.
- Virginia state epileptic colony
Tracklist
- Peeled apples
- Jackie Collins existential question time
- Me and Stephen Hawking
- This joke sport severed
- Journal for plague lovers
- She bathed herself in a bath of bleach
- Facing page: Top left
- Marlon J.D.
- Doors closing slowly
- All is vanity
- Pretension/repulsion
- Virginia state epileptic colony
- William’s last words
- Bag lady (Hidden track)
Im Forum kommentieren
The MACHINA of God
2024-07-28 16:53:59
Gesamt so 7,9/10
Felix H
2024-07-28 14:41:54
Ging mir ähnlich, wirklich sehr konstant hohe Qualität auf dem Album.
The MACHINA of God
2024-07-28 14:19:05
Zweimal ne 7/10, einmal 8,5/10, alle anderen Songs hab ichi mit 7,5/10 bzw. 8/10 bewertet. Ein konstant sehr gutes Album einfach.
Manicmax
2024-03-29 18:09:52
Habe gerade beim Hören des Albums für das Voting das Buch der Deluxe Edition hervorgeholt, und da ist mir die 2. CD mit den Demos in die Hand gefallen, die ich gar nicht mehr auf dem Schirm und auch nicht digitalisiert hatte...
Kann ich nur jedem empfehlen, mal reinzuhören, sind einige echt schöne Aufnahmen dabei - besonders von "A joke sport severed" und "VSEP", die eh meine Lieblingssongs auf dem Album sind!
Felix H
2017-02-10 09:46:52
Immer noch ein toller "Außenseiter" (zu diesem Zeitpunkt) in der Diskographie. Könnte glatt eine B-Seiten-Sammlung von "The Holy Bible" sein, Lyrics sind natürlich dank der Nachlass-Verwaltung von Edwards auch top
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