Isis - Wavering radiant

Conspiracy / Cargo
VÖ: 08.05.2009
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Was die Welt zusammenhält

Musik hat etwas mit Emotionen, Gefühl, Ausdruck und Kreativität zu tun - das unterschreibt einem jeder. Paradoxerweise erfordert gute Musik aber auch genau das Gegenteil: Struktur, Handwerk, klare Konzepte und feste Ziele. Das Bindemittel, das all das zusammenfügt und auch zusammenhalten muss, ist: Mathematik. Eine Übersicht der Mengenlehre.

Die Teilmenge: Eine Menge A heißt Teilmenge einer Menge B, wenn jedes Element von A auch Element von B ist. Daher muss es also ein Element geben, das quasi über allem thront, eine Menge B, die alles unter sich vereint. Bisher wechselte sich dieses Element bei Isis desöfteren ab, mal war es der Sound selbst, mal der Song, mal die Atmosphäre. Doch all das verkommt auf "Wavering radiant" auch nur zu Teilmengen, da das Grundelement diesmal ein anderes ist: Die Komplexität. Jeder andere Aspekt muss sich nun unterordnen, seien es die monumentaleren Melodien von "In the absence of truth" oder die erdrückendere Stimmung von "Panopticon".

Die Gleichheit: Zwei Mengen heißen gleich, wenn sie dieselben Elemente enthalten. Und wenn diese gleich gewichtet sind. So zum Beispiel Kopf- und Bauchgefühl. Denn nach x-maligem Hören kommt man zu dem Schluss, dass beide Instinkte zwangsläufig ausgeglichen sein müssen. Zwar gibt es wieder vermehrt Passagen, die zum Versinken in tiefen Gitarren einladen, doch im gleichen Atemzug wirkt das Album auf kompletter Länge auch wesentlich nachdenklicher, organisierter und eben auch viel dichter als seine Vorgänger. Mitdenken wird also umso mehr gefordert.

Die Leermenge: Die Menge, die kein Element enthält, heißt leere Menge. Und die besaßen Isis glücklicherweise nie und klammern Sinnfreiheit auch diesmal aus, was aber auch eine Selbstverständlichkeit ist. Trotzdem macht sich gerade zu Beginn unterschwellig das Gefühl breit, die einzelnen Songs hätten an Seele eingebüßt oder Isis würden auf hohem Niveau stagnieren, von produktionstechnischen Details einmal abgesehen. Doch irgendwann, später als bei vorherigen Alben, macht es doch wieder "Klick" und die Gleichung unter dem Bruchstrich wird durchschaubarer: Latenz + Lakonie + Perfektionismus + Universalität ist ungleich Null.

Die Schnittmenge: Die Schnittmenge ist die Menge der Elemente, die in jedem Element enthalten sind. Mit großer Sicherheit ist genau das nämlich auch der Unterschied, der Isis von gewöhnlichen Bands abhebt: Die Gabe, Gefühle technisch perfekt zu transportieren, diese aber auch gleichzeitig einfach und komplex in einem darstellen zu können. Wie in "Hall of the dead", dem Ohrwurmmonster als Opener, das die fehlerlose Durchschnittsmenge aus Kreativität und Konzept ist.

Die Vereinigungsmenge: Die Menge der Elemente, die in mindestens einem Element sind. Was quasi die duale Erweiterung des vorherigen Punkts ist: Isis loten den Grad der durchwanderten Gefühlszustande weiter und weiter aus, proben den Twist zwischen neuer alter Rohheit und fortgeführter Melodiösität und erreichen dabei den handwerklichen Höhepunkt mit großartigen Songs und einem in sich geschlossenen Album – ohne große Überraschungen. Die gibt es in der Mathematik eben seit hundert Jahren kaum noch. Und trotzdem hält sie die Welt weiterhin zusammen.

(Christoph Schwarze)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Hall of the dead
  • Hand of the host

Tracklist

  1. Hall of the dead
  2. Ghost key
  3. Hand of the host
  4. Wavering radiant
  5. Stone to wake a serpent
  6. 20 minutes / 40 years
  7. Ttreshold of transformation
Gesamtspielzeit: 54:04 min

Im Forum kommentieren

Fiep

2020-10-09 08:59:16

Verständlich. Und geb dir bei "reicht keines der Alben anderer Post-Metal-Bands mit Ausnahme " auch recht.

Mein Weg war Oceanic, In the absence, Panopticon kam danach, und da kannte ich auch neurosis und A Sun that Never Sets/Eye of Every Storm.

Panopticon war danach einfahc nicht mehr so beeindruckend.

Und wie du sagst: der sound des albums wurde sehr kopiert... aber der von In the absence und oceanic wurde weniger kopiert, und wenn dann noch schlechter als der von panopticon.


Immer noch ein absolutes top album. Historisch kontextuell vl auch relevanter als die anderen (wobei ich sagen würde oceanic nimmt ihm die grundlage), aber aus heutiger perspektive finde ich die anderen spannender.

Given To The Rising

2020-10-08 08:27:21

Der Klischeesound wurde aber erst nachher etabliert und für mich reicht keines der Alben anderer Post-Metal-Bands mit Ausnahme von Neurosis an Panopticon heran. Cult Of Luna haben auf ihren ersten Alben auch eher diesen Celestial-Sound.

Fiep

2020-10-07 21:28:03

Hab ich gelesen. Es ist aber auch das, was man am ehesten im ganzen postrock/postmetal gefielde auch bei anderen bands findet.

Ich sag nicht das es schlecht ist. es ist immer noch isis und ein tolles album. Aber da waren sie dem genre klischesound am nähesten, wen auch immer noch besser als die meisten anderen.

Given To The Rising

2020-10-07 20:29:10

"Von den alben finde ich ja panopticon persönlich das schwächste."
Mein Herz! Panopticon ist nicht nur Turners Lieblingsalbum, weil es genau Atmosphäre, Melodien und Wall Of Sound vereint.

Klaus

2020-10-07 14:06:27

Das Geschredder am Anfang von Celestial (The Tower) ist bis heute einer meiner Lieblings-Musik-Momente. Wie man ein Album so beginnen und schon so schnell alles abreißen kann - groß!

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