Moderat - Moderat

Bpitch Control / Rough Trade
VÖ: 08.05.2009
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Berlin calling

Modeselektor vs. Apparat. Oder anders gesagt: Piratensender Powerplay greift sich fragilen Beatfrickler und haut ihm mit der Wucht eines alten Seebären kräftig auf den Rücken, damit der Junge mal klar wird im Kopf und runterkommt von seinen melancholischen Träumereien. Wie der Projekttitel bereits andeutet, ist das Ergebnis der Zusammenarbeit aber doch nicht ganz so derbe, wie man das vermuten könnte. Denn in Rhythmik und Bassfundament offenbart sich zwar der Einfluss Modeselektors, doch ist das Ergebnis geradliniger als noch 2003 auf der ersten, weit wüster anmutenden Zusammenarbeit "Auf Kosten der Gesundheit". Standen damals eher Modeselektor am Ruder, hört sich "Moderat" - bis auf wenige Ausnahmen wie den Raggatrack "Sick with it" mit Dellé von Seeed an den Vocals - sehr viel stärker nach Sascha Rings ätherisch-poppigen Ausflügen an. Besonders deutlich wird dies an den beiden Tracks, die Ring selbst mit seiner zarten, klagenden Stimme erfüllt.

Der eine, "Rusty nails", bildet gleich am Anfang einen der Höhepunkte des Albums. Wie losgelöst von Raum und Zeit läuft hier die an Burial erinnernde Beatmaschine. Darüber kreist eine dieser Ringschen Synthiesequenzen, die man sich am besten in einer Kathedrale vorstellen kann, wo sie Platz haben, über den Köpfen der Tanzenden höher und höher zu steigen und durch den gesamten Raum zu fliegen. Dazu singt Ring so entrückt und in Trance wie einer, dem jeglicher Boden unter den Füßen weggebrochen ist und der sich nun im freien Fall befindet. Den kann auch das wiederum an Burial angelehnte "Out of sight", der zweite von Ring sehnsuchtsvoll und zerbrechlich intonierte Track am Ende, nicht stoppen. "Happy ending out of sight" wimmert Ring knapp über der Verständlichkeitsgrenze und entlässt einen ohne Trost in die Nacht der Großstadt.

Ähnlich emotionsgeladen ist auch "Seamonkey". Mit dickem Bassfundament rummst der Track aus den Boxen, taucht ab im Berliner Häusermeer, bis sich nach der Hälfte des Stückes eine klagende Synthiefigur erhebt und gegen Ende die Spannung endlich erlösend durch die Wasseroberfläche bricht. Etwas schwächer ist die Kooperation mit Paul St. Hilaire alias Tikiman, der Freunden Berliner Technos vor allem durch seine unfassbar guten Vokalbeiträge zu Rhythm & Sound ein Begriff sein dürfte. Erfüllte er dort die unendlich weiten, meerestiefen Elektrodubtracks der Basic-Channel-Crew mit Seele, klingt er bei Moderat deutlich aggressiver, schamanenhafter.

Der Song gewinnt aber wie auch das cineastische "3 minutes of", – das eigentlich zusammen mit "Nasty silence" einen einzigen großen Instrumentaltrack bildet, – in dem Moment, wo man das Album als Soundtrack zur Berliner Urbanität hört. Es kommt vielleicht nicht ganz von Ungefähr, dass man sich beim Hören von "Moderat" bisweilen an den Emotionstechno aus "Berlin calling" mit Paul Kalkbrenner erinnert fühlt und Bilder dieser großen, grauen Stadt mit ihren Brachlandschaften, der ratternden S-Bahn, ihren prekären Existenzen und rastlosen Nachtschwärmern vor Augen hat. Die Spannung, die Tracks wie "Porc #1" und "Porc #2" für sich allein genommen fehlt, stellt sich im durchlaufenden Mix dann plötzlich ein. So als laufe man etwas ziellos umher, um dann hinter der nächsten Straßenecke unerwartet in einem dunklen, halblegalen Kellerclub zu landen, in dem das Publikum zum wuchtigen "No. 22" sich selbst und den DJ feiert. Da geht man gerne mit - auch ohne sich selbst mit der Faust ins Gesicht zu schlagen.

(Harald Jakobs)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Rusty nails
  • Seamonkey
  • Out of sight

Tracklist

  1. A new error
  2. Rusty nails
  3. Seamonkey
  4. Slow match (feat. Paul St. Hilaire)
  5. 3 minutes of
  6. Nasty silence
  7. Sick with it (feat. Dellé aka Eased)
  8. Porc #1
  9. Porc #2
  10. Les grandes marches
  11. Berlin
  12. No. 22
  13. Out of sight
Gesamtspielzeit: 55:11 min

Im Forum kommentieren

toolshed

2010-05-08 06:50:20

Sehr schöne CD (aufgerundet auf 8/10). Wer hiermit nichts anfangen kann: Einmal mit Kopfhörern und "Rusty Nails" nachts durch die verregnete Großstadt laufen. Und ihr werdet nicht nur Moderat mit anderen Augen sehen.

folk

2009-08-12 13:18:14

wäre mir fast durch die lappen gegangen... sehr starkes album. new error, rusty nails und out of sight sind meine highlights bisher und ich kann keine ausfälle verzeichnen. modeselektor sind eben doch die geilsten

musie

2009-07-14 14:32:30

freu mich auch sehr auf moderat am melt. hab sie vor zwei wochen in montreux gesehen als vorband von underworld, waren super. und eine freude hatten sie auf der bühne, v.a. der eine von modeselektor, das war herzerwärmend. unter der oberfläche der kühlen musik brodelts gewaltig... mindestens eine 8/10 ist dieses album.

Soup Dragon

2009-07-14 10:51:47

70er Pearl Jam, geil!

DrLow

2009-07-14 09:45:42

Habe die auf dem SONAR gesehen, waren sogar Co-Headliner am Samstag. War mir vorher etwas uneinig über die Platte aber als Live-Erlebnis war es echt die Wucht, die Stage war am Ende proppevoll. Ist eben nicht so oberflächlich tanzbar, aber unheimlich emotional mitreissend. Der Auftritt auf dem Melt wird das sicher zementieren. Aber wie sich ein Act, den es erst so kurz gibt, eine (wundervolle!) Lightshow in Größe der 70er Pearl Jam leisten kann will sich mir noch nicht erschließen..

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