Crystal Antlers - Tentacles
Touch & Go / SoulfoodVÖ: 17.04.2009
Energy drinkers
Wer 2010 eine Hype-Band auf die Beine stellen will, aber bisher noch nicht die richtigen Leute, Songs oder sonst irgendwas beisammen hat, kann sein Projekt ja zumindest schon mal Crystal Wolves nennen und damit den hippsten aller denkbaren Namen abgreifen, gern geschehen. Bevor wir uns deren Post-No-Wave-Dance-Punk-Indie (veröffentlicht bei Universal) hingeben, soll aber wenigstens noch schnell der ab sofort unumstößliche Idealfall eines Noiserock-Songs erwähnt werden: "Time erased" von Crystal Antlers aus Los Angeles, der es 3 Minuten 37 lang fertig bringt, auf einer offenbar unzerbrechlichen Ekstasewelle zu surfen und dann auch noch den Absprung zur richtigen Zeit schafft, wenn der Saft schließlich doch zu Ende geht. So, meine Herren, sollte Musik eigentlich immer klingen - und "Tentacles" hätte kaum ehrenvoller an diesem Vorhaben scheitern können.
Vermutlich ein gutes Zeichen: Crystal Antlers würden am frühen Nachmittag auf einer Nebenbühne beim Wacken genauso gut funktionieren wie nachts im Halderner Spiegelzelt. Sie fangen jene Sorte von roher Energie ein, die quasi irrelevant macht, welche Musik sie überhaupt spielen; man würde sich von dieser Band auch Neil Youngs Öko-Auto-Fantasien vorführen lassen, solange sie es nur mit dieser gottverdammten rohen Energie täten, die "Tentacles" immer wieder zurück in die Steinzeit bombt. Natürlich ist es trotzdem Ehrensache für Crystal Antlers, dass sie zu dieser Dextro-Energen-Attitüde die angemessen wahnsinnigen Songs spielen - alles, was früher mal George Clinton, The Mars Volta, Free Jazz oder Hammond-Orgel war, wird hier als frischer Zaubertrank ausgeschwitzt, in den selbst Obelix nicht oft genug hineinfallen könnte.
Es gibt zwei, vielleicht drei Momente auf "Tentacles", in denen Crystal Antlers mit dem Kopf durch die Wand wollen und ungefähr 500 andere, in denen sie es tatsächlich mit dem Kopf durch die Wand schaffen. Die instrumentale Intro-Nervosität von "Painless sleep" etwa wäre hier gar nicht notwendig gewesen; schon "Dust" pumpt einem hinterher schließlich die Elektrolyte mit einer solchen Urgewalt ins Blut, dass man drei Wochen lang nur noch Gatorade pinkeln kann. Kurze, anfallartige Ausfälligkeiten werden dann zur Spezialität dieser Platte, deren Titelstück keine zwei Minuten braucht, um sich auf 180 zu brummkreiseln - und doch können Crystal Antlers auch die volle Distanz gehen, wenn man ihnen nur genügend Schmackes aufs Schlagzeug und Ausbeulungen in die Blechbläsern genehmigt. Wer glaubt, keinen Nerv dafür zu haben, hat wahrscheinlich wirklich keinen Nerv dafür - hiernach rückt sich jedenfalls auch Omar Rodriguez-Lopez die Streberbrille zurecht.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Dust
- Time erased
- Tentacles
- Several tongues
Tracklist
- Painless sleep
- Dust
- Time erased
- Andrew
- Vapor trail
- Tentacles
- Until the sun dies (Part 1)
- Memorized
- Glacier
- Foot of the mountain
- Your spears
- Swollen sky
- Several tongues
Referenzen
Spotify
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