Muff Potter - Gute Aussicht

Huck's Plattenkiste / Rough Trade
VÖ: 17.04.2009
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Über den Berg

Muff Potter haben wieder Hunger: Wie ein bissiger, schlecht gefütterter Hund knurrt und grummelt die Gitarre nervös ein Intro herbei, das auch Josh Homme auf einer Desert Session durchgewunken hätte. Dann schreit Nagel sich durch seine Jugendhelden: Huckleberry Finn, Josef K., Alfred E. Neumann, Fräulein Smilla. Nein, das klingt kaum nach der Mäßigung und den Zugeständnissen an den Pop, wie sie auf "Von wegen" und "Steady Fremdkörper" die urwüchsige Kraft der Band zugunsten eines differenzierteren Songwritings gezügelt hatten. Stattdessen kratzt und beißt "Gute Aussicht" an vielen Stellen unerwartet heftig, fies sägen die Gitarren, derb kracht der Bass, giftig spuckt Nagel seine Zeilen aus. Nach ihrem Abschied vom Majorlabel Universal haben Muff Potter zum ersten Mal seit "Heute wird gewonnen, bitte" wieder ein Album live eingespielt, und man spürt sie auf der Platte, diese unmittelbare Energie, mit der die Band auf der Bühne immer noch jeden Club zur Sauna verwandelt.

Lange mussten Muff Potter als Aushängeschild herhalten, wenn es um irgendwas mit "Punk" und "deutsch" ging. Voreilige Vereinnahmungen dürften sich mit dieser widerspenstigen Platte jedoch erstmal erledigt haben, deren rauer Sound keinesfalls einfach eine Rückkehr zur Bordsteinkante markiert. Denn unter der punkigen Oberfläche von Biestern wie "Ich bin charmant", "Alles war schön und nichts tat weh" oder dem sperrigen "Eiskunstlauf ohne Ton" glänzen noch immer die gleichen poppigen Harmonien der Vorgänger, wenn auch mit deutlich dissonanter Schieflage. Neben der Knüppelei stehen noch präziser als bisher die melancholischen Momente: "Mein Freund, das Wrack" ist ein tragisches Loblied auf die, die unsere Welt regieren sollten, aber zu müde dazu sind, weil sie sich täglich ein gutes Glas Weltschmerz hinter die Binde gießen und vor ihrem Humor Galgen errichten.

Thematisch stehen wie immer alle Türen offen: Der wortspielsüchtige Nagel setzt sich in "Blitzkredit Bop" (vergleichsweise harmlos instrumentiert) an die Hypotheke, und auch der 1000 Stimmen starke Live-Chor macht aus einer leeren Parole wie die "Die Party ist vorbei" metaphorisch einen gesellschaftskritischen Trümmertanz. Im Gros geht es um Beziehungen aller Qualitäten, manchmal um Selbst- und Fremdverortung, oder eben Gesellschaftskritik - Ich-Du-Wir auf allen Kanälen. Meist verpackt Nagel das in einer guten, anschaulichen Erzählung, wie in "Niemand will den Hunde begraben", der scharf beobachteten Landflucht-Hymne der Generation Praktikum. Am Besten ist er jedoch, wenn er nicht mit den Worten jongliert, sondern sie wohlüberlegt setzt. "Ich bin zu dumm, um alles zu wissen / Und zu schlau, um das jemals zu vergessen / Manchmal find' ich's komisch, dass ich traurig war / Das ist besser als umgekehrt", tönt es schlicht, aber messerscharf gedacht aus "Rave is not rave".

"Gute Aussicht" ist auf ganzer Länge fordernder und bestimmter ausgefallen als seine Vorgänger, trotzdem sehr eingängig, außerdem herrlich zerrissen und widersprüchlich in seiner auf Krawall gebürsteten Gutmütigkeit. Kollege Heinser hatte in seiner Rezension zu "Von wegen" unrecht: Dieses siebte Muff-Potter-Album ist ihr "In utero". Denn ein, zwei schwächeren Songs zum Trotz ist die Platte in der Summe musikalisch facettenreicher und inhaltlich angelegentlicher als die letzten. Langsam pirscht sich der Titeltrack am Schluss wie zum Beweis der Weiterentwicklung an, der Text zeigt ein strahlend vergiftetes Lächeln: "Geschäftig wuseln die Menschen herum / So klein und sinnlos / So lustig niedlich und dumm." Die letzten Worte des Albums zementieren die Haltung einer Band, die niemals mehr zu den Guten gehörte als jetzt: "Und dein Aufprall / Wird härter / Als meiner sein". Mit einem Bärenhunger gegen die Falschheit und Bosheit dieser Welt.

(Dennis Drögemüller)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Rave is not rave
  • Niemand will den Hund begraben
  • Die Party ist vorbei
  • Gute Aussicht

Tracklist

  1. Ich und so
  2. Rave is not rave
  3. Ich bin charmant
  4. Niemand will den Hund begraben
  5. Blitzkredit Bop
  6. Die Party ist vorbei
  7. Alles war schön und nichts tat weh
  8. Wie spät ist es, und warum?
  9. Wir werden uns kümmern
  10. Mein Freund, das Wrack
  11. Eiskunstlauf ohne Ton
  12. Gute Aussicht
Gesamtspielzeit: 42:04 min

Im Forum kommentieren

finn.

2009-12-11 16:41:37

Großartiges Konzert gestern Abend in der Markthalle zu Hamburg.
2 Stunden Spielzeit, mit 2 Zugaben, viele alte Klassiker (selbst 1 1/2 Songs von "Schrei, wenn du brennst" waren dabei)und "Von Wegen" haben sie auch noch gespielt. Zu viel Wasser in den Augen...

bernhard.

2009-12-10 21:01:32

münchen war richtig schön. erstes lied die ruhige version von alles war schön und dann gleich unkaputtbar... viel von der bordsteinkante und der heute wird gewonnen, weniger von den neuen... spielzeit auch knapp 2 stunden, war definitv ein würdiges abschlusskonzert hier.

sb

2009-12-10 20:39:06

In Saarbrücken gab's 2 Stunden auf die Ohren, vor allem auch ältere Songs, viele Hits.

Petr

2009-12-10 20:32:30

heute grad mal wieder gemerkt, dass "Niemand will den Hund begraben" in jede Top-Song-Liste 2009 gehört..

und hach, zu schade, dass sie aufhören, blieben konstant stark, da wäre bestimmt noch was gegangen...

Everchanging

2009-12-10 20:00:38

Wie siehts aus? War schon jemand auf der Abschiedstour? Wenn ja, wie wars und was haben sie gespielt?

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